Kant: Briefwechsel, Brief 577, An Carl Leonhard Reinhold.

		Kant: Briefwechsel, Brief 577, An Carl Leonhard Reinhold.


		An Carl Leonhard Reinhold.

		[7. Mai 1793.]

		Ihren liebevollen Brief vom 21. Ianuar, theuerster Herzensfreund!
		werde ich jetzt noch nicht beantworten. Ich habe Ihrer gütigen Besorgung
		noch Briefe an D. Erhard und Fräul: Herbert anzuempfehlen,
		die ich, sammt meiner schuldigen Antwort, innerhalb
		14 Tagen abgehen zu lassen gedenke.


		Bey dem Empfang der Abhandlung, die ich die Ehre habe diesem
		Briefe beyzufügen, wird es sie befremden, welche Ursache ich damals,
		als ich deren erwähnte, haben konnte, damit geheim zu thun. Diese
		bestand darin daß die Censur des zweyten Stücks derselben, das in
		die Berl. M. S. hatte kommen sollen dort Schwierigkeiten fand,
		welche mich nöthigten, sie, ohne weiter davon zu erwähnen, anderwerts
		drucken zu lassen.

		Ihr gütiges Versprechen der gelegentlichen Mittheilung einiger
		litterärischer Geschichten, nehme ich mit sehr großem Dank an, worunter
		mir die, von dem starken Anwachs der Zahl Ihrer die Philosophie
		lernenden Zuhörer, schon viel Vergnügen macht, welches aber durch
		die Nachricht von Ihrer bevestigten Gesundheit sehr erhöhet werden
		würde. Doch Ihre Iugend gibt mir dazu die beste Hoffnung, wenn
		sich damit die philosophische Gleichgültigkeit gegen das, was nicht in
		unserer Gewalt ist, verbindet, die allein im Bewustseyn seiner
		Pflichtbeobachtung den wahren Werth des Lebens setzt, zu welcher Beurtheilung
		uns endlich die lange Erfahrung von der Nichtigkeit alles
		andren Genusses zu bringen nicht ermangelt.

		Indem ich das übrige, was noch zu sagen wäre, meinem nächsten
		Briefe vorbehalte, empfehle mich jetzt Ihrem fernerem Wohlwollen als

				Ihr
				treuer Freund u Diener
				I Kant



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