Kant: Briefwechsel, Brief 378, Von D. Petersen. |
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| Von D. Petersen. | |||||||
| St. Petersburg d. 1 . Sept: alt: St: 1789. | |||||||
| S. T. | |||||||
| Dieser Brief, dessen Verfasser Ihnen, verehrungswürdiger Herr | |||||||
| Professor, ganz unbekannt ist, den aber wahre innige Achtung gegen | |||||||
| Sie erfüllt, wagt es, Sie, bey einem von ihm zu fassenden Entschluß, | |||||||
| um Ihren Rath zu ersuchen. Er hoft, daß Sie ihm denselben nicht | |||||||
| versagen werden und glaubt von dem edlen Mann, wegen seines Zutrauens | |||||||
| zu ihm, keiner Verzeihung zu bedürfen. | |||||||
| Der Ueberbringer dieses Brief, ehemahliger Bibliothekair bey der | |||||||
| hiesigen Akademie, ist mein Freund und wird mir Ihre Meinung über | |||||||
| die Ausführbarkeit meines Entschlusses schreiben, wie Sie sie ihm | |||||||
| gütigst mündlich sagen wollten. Ich traue es Ihrer Güte völlig zu, | |||||||
| daß Sie mir eine schriftliche Antwort nicht abschlagen würden; es ist | |||||||
| aber ein Gefühl in meiner Seele, das mir auf die Äusserungen der | |||||||
| Güte eines so sehr verehrten Mannes, so lange Verzicht zu thun gebeut, | |||||||
| bis er mich selbst derselben würdig erkannt hat. Aus diesem | |||||||
| Grunde glaube ich Sie der Mühe, mir selbst zu antworten, überheben | |||||||
| zu müssen und sie meinem Freunde zu übertragen. | |||||||
| Ietzt näher zur Sache, die folgendes Innhaltes ist. Meine Laufbahn, | |||||||
| die ich hier in Petersburg begonnen, ist schon vor ungefehr | |||||||
| drittehalb Iahren vollendet und keine neue, wozu ich in mir Neigung | |||||||
| fand, hat sich in dieser Zwischenzeit eröfnet. Predigerstellen, die mir | |||||||
| angetragen worden sind, habe ich aus mehreren Gründe, die ich hier | |||||||
| nicht an führen will, ausschlagen zu müssen geglaubt - Die Aussicht, | |||||||
| die der Vicepräsident dHE Etaatsrath Creideman auf eine philosophische | |||||||
| Lehrstelle mir gab, ist auch verschwunden, weil der verderbliche | |||||||
| Krieg den Plan, im Lande drey Universitäten zu errichten, zerrüttet | |||||||
| hat. Der Vorsatz aus dem Lande zu reisen hat sich daher endlich | |||||||
| eingefunden; aber wohin? Wohin anders als nach Königsberg, um | |||||||
| daselbst, meinem Hange gemäß, unter dem Verfasser der Critik der | |||||||
| reinen Vernunft, noch einmal die philosophischen Wissenschaften zu | |||||||
| studiren. | |||||||
| Aber nun entsteht die Frage: wenn es mir gelingen sollte, mich, | |||||||
| nach Ihrem eigenen Urtheil, einer Lehrstelle auf irgend einer deutschen | |||||||
| Universität würdig zu machen, ob Sie dann, unter dieser Bedingung | |||||||
| der Würdigkeit, die Sie allein zu beurtheilen berechtigt | |||||||
| seyn sollen, Hofnung haben können, mich, durch Ihre Empfelung, | |||||||
| irgendwo anzubringen? Hierüber wünschte ich, ehe ich mich zur Abreise | |||||||
| entschließe, Ihre Meinung u. Ihren Rath zu hören. Mögten | |||||||
| Sie mir doch sagen lassen, daß ich kommen solle, wenn ich, die Bedingung | |||||||
| zu erfüllen, Muth genug fühlte! | |||||||
| Ich habe vor mehreren Iahren, (jetzt bin ich 34 Iahre alt,) in | |||||||
| Kiel Theologie studirt. Ich hatte das Unglück aber in den Ruf der | |||||||
| Heterodoxie zu kommen und mußte deswegen manches von der obern | |||||||
| Geistlichkeit leiden, aber am meisten von dem Bischof Hee in Aarhus. | |||||||
| Dieser beschuldigte mich, in einem Brief an den Geheimerath Güldencrone, | |||||||
| bey dessen Kindern ich Hofmeister geworden war, abscheulicher, | |||||||
| miserabler und seelenverderblicher Irrthümer und verlangte, nach einem | |||||||
| dänischen Gesetz, daß ich nicht, wie es bestimmt war, mit meinen | |||||||
| Eleven ausser Landes geschickt würde, weil ich dann noch mehr freye | |||||||
| Hand bekäme, die unschuldigen Seelen mit meinen verderblichen Irrthümern | |||||||
| anzustecken. Es kam dieß alles vor den dänischen Hof, dem | |||||||
| die Sache so wichtig gemacht worden war, daß er deshalb an den | |||||||
| Prokanzler Cramer schrieb u. dieser von mir eine schriftliche Versicherung | |||||||
| verlangte, daß die Lehrer der Akademie an meinen Lehrsätzen, | |||||||
| so fern sie irrig wären, keine Schuld hätten, welche ich ihm auch gerne | |||||||
| gab. Es blieb mir jetzt keine Hofnung zu einer Predigerstelle in | |||||||
| meinem Vaterlande mehr übrig u. ich mußte mich entschließen jura | |||||||
| zu studieren, welches ich auch that. Ich hatte nach geendigtem cursus | |||||||
| Hofnung in Coppenhagen beym Iustitz=Collegium engagirt zu werden | |||||||
| und stand im Begriff dahin zu gehen, als der HE Professor Ehlers | |||||||
| von der hiesigen Katharinengemeine den Auftrag erhielt, ihr einen | |||||||
| Mann zum Rector bey ihrer Schule und zur Verwaltung des Nachmittagsgottesdienstes | |||||||
| vorzuschlagen. Er schlug mich vor; man nahm | |||||||
| mich, ungeachtet der Heterodoxie, die ich nicht, wegen der Folgen, verschwiegen | |||||||
| wissen wollte, an, und schickte mir, als ich mich auf dHE | |||||||
| Professor Ehlers Rath, zur Annahme der Stelle bereitwillig erklärt | |||||||
| hatte, meine Bestallung als Rector und Gehülfe des HE Pastors nach | |||||||
| Holstein. Mein Gehalt war 500 Rubel, die Einnahme bey der Schule | |||||||
| ungefehr auf 250 Rubel angegeben und ausserdem freye Wohnung, Holz | |||||||
| und Licht bewilligt. Ich hatte die Geschäfte meines Amts, nach dem | |||||||
| öffentlichen und schriftlichen Zeugniß des Convents dieser Gemeine, | |||||||
| gewissenhaft und zu seiner Zufriedenheit 3 Iahre hindurch verrichtet, | |||||||
| als der Convent von dem Directorium der deutschen Volksschulen den | |||||||
| Befehl erhielt, seine Lehrer nach der Petrischule zu schicken, um sie | |||||||
| daselbst prüfen und dann in ihrem Amt bestätigen zu lassen. Der | |||||||
| Convent machte dagegen Vorstellungen, weil er das Recht schon gegen | |||||||
| 60 Iahre besessen hatte, über die Tüchtigkeit seiner Schul= und Kirchenlehrer | |||||||
| selbst zu urtheilen, sie zu berufen und zu bestätigen. - Ich | |||||||
| erklärte mich ebenfalls, daß ich mich für gesetzmäßig berufen und in | |||||||
| meinem Amte bestätigt ansähe und weigerte mich daher mich noch einmal | |||||||
| darin bestätigen zu lassen. Das Ende vom Streite war, daß die | |||||||
| Commission, die unmittelbar unter der Kaiserin steht, auf die Vorstellung | |||||||
| des Directorii, die Lehrer, ohne weiters, abdankte, worauf | |||||||
| also die Schule einging, der Nachmittagsgottesdienst aufhörte und ich | |||||||
| ohne Amt dastand und noch stehe. Warum ich mich denn jetzt nicht | |||||||
| an meine ehemaligen Lehrer in der Philosophie, an HE Professor | |||||||
| Ehlers und Tetens wende? Weil ich von ihnen, so sehr ich sie auch | |||||||
| Beyde hochschätze, fast ebenso wenig, als von einem göttingischen | |||||||
| Philosophen, mir diejenige Erweiterung und Aufklärung meiner | |||||||
| Kenntnisse versprechen kann, die ich mir von Ihrer Belehrung und in | |||||||
| Ihrem Umgange versprechen darf. Ich fand mich schon damals, als ich | |||||||
| unter ihnen die Philosophie studierte und ehe ich Ihre spätern Schriften | |||||||
| gelesen hatte, in Ansehung der wichtigsten Puncte unbefriedigt. Ich | |||||||
| fing schon damals an, an der Richtigkeit der Beweise für das Daseyn | |||||||
| eines höchsten Wesens zu zweifeln und wenn ichs als völlig erwiesen | |||||||
| annahm; so sträubte sich meine Vernunft gegen die Sätze: die Welt | |||||||
| hat einen Anfang; die Welt ist begränzt und endlich, weil sie dann | |||||||
| nicht, als Wirkung, dem Begriff einer ewigen und unendlichen Kraft | |||||||
| entsprach. Eben so gings mir mit dem Begriff der Freiheit, die man | |||||||
| aus der Erfahrung bewies. Die Causalverbindung der Dinge fand | |||||||
| ich ihr immer im Wege stehen; jede gegenwärtige Stimmung der | |||||||
| Seele mußte ich als eine nothwendige und unausbleibliche Folge der | |||||||
| vorhergehenden denken und daher auch alle Imputation fahren lassen. | |||||||
| Demungeachtet konnte ich doch den innern Vorwürfen nicht entgehen, | |||||||
| wenn ich die, jedem andern, als mir, verborgene Unlauterkeit in | |||||||
| meinem Sinn bemerken mußte, weil ich mich des Bewustseyn meiner | |||||||
| Freyheit, was ich mir auch aus der Erfahrung dagegen bewies, durchaus | |||||||
| nicht zu entledigen vermogte. Ueber das Daseyn der Körper und ihre | |||||||
| Erkenntniß, als ausser meiner Vorstellung für sich bestehender Dinge | |||||||
| entstanden auch nach und nach Zweifel. Ich sah es ein, daß ich doch | |||||||
| unmittelbar nichts, als meine eigenen Modificationen erkannte, und | |||||||
| daß diese doch nicht mit den Dingen, die sie verursachten, einerley | |||||||
| wären und mit ihnen verwechselt werden könnten. - Ihre Schriften | |||||||
| sind es indessen, verehrungswürdiger Mann, die mir über diese und | |||||||
| so viel andere wichtige Puncte mehr Licht angesteckt haben, als | |||||||
| ich je erwartete. Sie haben mich alle mit inniger Achtung gegen | |||||||
| ihren Verfasser erfüllt; aber keine hat so tiefe Spuren der Verehrung | |||||||
| und Liebe in meinem Gemüth hinterlassen, als die Critik der practischen | |||||||
| Vernunft. Wer sind die, die dem Verfasser desselben den Vorwurf zu | |||||||
| machen wagen, daß er die Tugend und Moralität untergrabe, die er, | |||||||
| mehr als irgend einer vor ihm, dem moralischen Gemüth zum Gegenstande | |||||||
| der höchsten Verehrung gemacht und wesentlich vom Laster | |||||||
| unterschieden? - Doch wer weiß das besser als Sie selbst. | |||||||
| Ich kann nicht anders, als mit dem Wunsche schließen, daß Sie | |||||||
| Grund finden mögten, mich in meinem Entschluß, nach Königsberg | |||||||
| zu kommen, bestärken zu lassen. Ihm sey indessen, wie ihm wolle, so | |||||||
| wird das innige Gefühl der Achtung gegen Sie mir doch bleiben und | |||||||
| mich stets mit der angenehmen Hofnung laben, daß ich der Ihrigen | |||||||
| noch einmal würdig werden dürfte. Mögte die Vorsehung Sie noch | |||||||
| lange im Leben erhalten! mögte sie Ihnen bis zu Ende Ihres Lebens | |||||||
| die dauerhafteste Gesundheit gewähren! Dieß ist einer der innigsten | |||||||
| Wünsche meines Herzens. | |||||||
| D. Petersen. | |||||||
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