Kant: AA XI, Briefwechsel 1792 , Seite 338 |
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| 515. | |||||||
| 02 | Von Iacob Sigismund Beck. | ||||||
| 03 | Halle den 31 ten May 1792. | ||||||
| 04 | Theuerster Herr Professor, | ||||||
| 05 | Heute habe ich das Vergnügen gehabt, Herrn Hartknoch persönlich | ||||||
| 06 | kennen zu lernen. Er sagt, Sie erlauben es mir, in die Vorrede des | ||||||
| 07 | Auszugs aus Ihren critischen Schriften zu setzen, daß er mit Ihrem | ||||||
| 08 | Wissen geschrieben sey. Das ist nun wohl sehr gut, aber ich bin dadurch | ||||||
| 09 | noch nicht ganz beruhigt. Ich trete zum ersten mahl ins | ||||||
| 10 | Publicum, und muß, wenn ich auch nur auf meinen Vortheil bedacht | ||||||
| 11 | seyn will, alle Vorsicht und Fleiß anwenden, um mit einigem Anstand | ||||||
| 12 | zu erscheinen. Wollen Sie mir erlauben, Ihnen das Manuscript zu | ||||||
| 13 | schicken, und darf ich Sie bitten, entweder selbst es durchzulaufen, oder, | ||||||
| 14 | da ich dieses wohl nicht erwarten kann, wollen Sie den Herrn Hofprediger | ||||||
| 15 | Schultz in meinem Namen darum ersuchen? Er kennt mich | ||||||
| 16 | sehr wohl, und würde vieleicht auch aus Freundschaft für mich, und | ||||||
| 17 | wenigstens wenn Sie insbesondere ihn darum bitten, es wohl thun. | ||||||
| 18 | Ich wünsche gar sehr zu wissen ob ich in Folgenden Ihre Gedanken | ||||||
| 19 | treffe. Ich meyne daß man in der transc. Aesthetick die Anschauung | ||||||
| 20 | gar nicht erklären dürfe, durch die Vorstellung die sich unmittelbar | ||||||
| 21 | auf einen Gegenstand bezieht, und die da entsteht, indem | ||||||
| 22 | der Gegenstand das Gemüth afficirt. Denn in der transc. Logick kann | ||||||
| 23 | erst gezeigt werden, wie wir zu objectiven Vorstellungen gelangen. | ||||||
| 24 | Die reine Anschauung verbietet jene Erklärung schon von selbst. Ich | ||||||
| 25 | sehe doch in Wahrheit nicht daß ich irre, wenn ich sage: die Anschauung | ||||||
| 26 | ist eine durchgängig bestimmte Vorstellung in Ansehung eines gegebenen | ||||||
| 27 | Mannigfaltigen. Auch wird es mir so recht deutlich, daß die Mathematick | ||||||
| 28 | eine Wissenschaft durch Construction der Begriffe sey. Denn | ||||||
| 29 | auch die Algeber kann nicht anders als vermittelst durchgängig bestimmter | ||||||
| 30 | Vorstellungen ihre Sätze beweisen. Auch muß man meiner | ||||||
| 31 | Meynung nach gar sehr bedacht seyn, das Subjective der Sinnlichkeit | ||||||
| 32 | von dem Objectiven zu scheiden, um nachher desto besser das eigene | ||||||
| 33 | Geschäfte der Categorien, welche die Objectivität den Vorstellungen | ||||||
| 34 | geben, ins Auge zu fassen. | ||||||
| 35 | Zweytens ist es mir sehr begreiflich, daß die Gegenstände der | ||||||
| 36 | Sinnenwelt, den Grundsätzen der transc: Urtheilskraft unterworfen seyn | ||||||
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