Kant: Briefwechsel, Brief 515, Von Iacob Sigismund Beck.

     
           
 

 

 

 

 

 
  Von Iacob Sigismund Beck.      
           
  Halle den 31 ten May 1792.      
           
  Theuerster Herr Professor,      
  Heute habe ich das Vergnügen gehabt, Herrn Hartknoch persönlich      
  kennen zu lernen. Er sagt, Sie erlauben es mir, in die Vorrede des      
  Auszugs aus Ihren critischen Schriften zu setzen, daß er mit Ihrem      
  Wissen geschrieben sey. Das ist nun wohl sehr gut, aber ich bin dadurch      
  noch nicht ganz beruhigt. Ich trete zum ersten mahl ins      
  Publicum, und muß, wenn ich auch nur auf meinen Vortheil bedacht      
  seyn will, alle Vorsicht und Fleiß anwenden, um mit einigem Anstand      
  zu erscheinen. Wollen Sie mir erlauben, Ihnen das Manuscript zu      
  schicken, und darf ich Sie bitten, entweder selbst es durchzulaufen, oder,      
  da ich dieses wohl nicht erwarten kann, wollen Sie den Herrn Hofprediger      
  Schultz in meinem Namen darum ersuchen? Er kennt mich      
  sehr wohl, und würde vieleicht auch aus Freundschaft für mich, und      
  wenigstens wenn Sie insbesondere ihn darum bitten, es wohl thun.      
           
  Ich wünsche gar sehr zu wissen ob ich in Folgenden Ihre Gedanken      
  treffe. Ich meyne daß man in der transc. Aesthetick die Anschauung      
  gar nicht erklären dürfe, durch die Vorstellung die sich unmittelbar      
  auf einen Gegenstand bezieht, und die da entsteht, indem      
  der Gegenstand das Gemüth afficirt. Denn in der transc. Logick kann      
  erst gezeigt werden, wie wir zu objectiven Vorstellungen gelangen.      
  Die reine Anschauung verbietet jene Erklärung schon von selbst. Ich      
  sehe doch in Wahrheit nicht daß ich irre, wenn ich sage: die Anschauung      
  ist eine durchgängig bestimmte Vorstellung in Ansehung eines gegebenen      
  Mannigfaltigen. Auch wird es mir so recht deutlich, daß die Mathematick      
  eine Wissenschaft durch Construction der Begriffe sey. Denn      
  auch die Algeber kann nicht anders als vermittelst durchgängig bestimmter      
  Vorstellungen ihre Sätze beweisen. Auch muß man meiner      
  Meynung nach gar sehr bedacht seyn, das Subjective der Sinnlichkeit      
  von dem Objectiven zu scheiden, um nachher desto besser das eigene      
  Geschäfte der Categorien, welche die Objectivität den Vorstellungen      
  geben, ins Auge zu fassen.      
           
  Zweytens ist es mir sehr begreiflich, daß die Gegenstände der      
  Sinnenwelt, den Grundsätzen der transc: Urtheilskraft unterworfen seyn      
           
  müssen. Um dieses im hellen Lichte zu sehen, so subsumire man die      
  empirische Anschauung unter die Schemate der Categorien: so sieht      
  man sofort, daß sie nur dadurch Objectivität erhält, da dann die      
  Frage wie es zugeht, daß die Gegenstände sich nach jenen synthetischen      
  Sätzen a priori richten müssen, aufhört. Sie sind ja nur darum      
  Gegenstände, so fern ihre Anschauung der synthetischen Verknüpfung      
  des Schema unterworfen gedacht wird. Z. B. sehe ich die Gültigkeit      
  der Analogie, daß allen Erscheinungen was Beharrliches zum Grunde      
  liege, daher ein, weil, wenn ich das Schema der Substantialität auf      
  die empirische Anschauung beziehe, diese eben hiedurch Objectivität erhalte,      
  mithin muß der Gegenstand selbst, dieser synthetischen Verknüpfung      
  der Substanz und Accidenz unterworfen seyn. Aber wenn      
  ich bis zu dem Princip der ganzen Sache hinaufsteige, dann treffe      
  ich doch eine Stelle an, wo ich sehr gern mir mehr Licht wünsche.      
  Ich sage, die Verbindung der Vorstellungen im Begrif ist von derjenigen      
  im Urtheil verschieden, so daß in der letzten noch über jene      
  Verknüpfung die Handlung der objectiven Beziehung vorgehe, also      
  die nehmliche Handlung, durch welche man einen Gegenstand denkt.      
  In der That ist es doch ganz was Verschiedenes, wenn ich sage, der      
  schwarze Mensch, oder, der Mensch ist schwarz, und ich meyne da      
  man sich nicht fehlerhaft ausdrücke, wenn man sagt, die Vorstellungen      
  im Begrif sind zur subjectiven Einheit, dagegen im Urtheil zur objectiven      
  Einheit des Bewußtseyns verbunden. Aber ich gebe viel darum      
  wenn ich tiefer in die Sache greifen könnte und eben diese Handlung      
  der objectiven Beziehung dem Bewußtseyn besser darstellen könnte.      
  In meinem letzten Briefe berührte ich diesen Punct als eine mir vorkommende      
  Dunkelheit, und beßter Herr Professor, aus Ihrem Schweigen      
  darauf, argwöhnte ich, daß ich Unsinn darin verrathen haben dürfte.      
  Aber ich mag die Sache um und um ansehen, so sehe ich nicht da      
  ich grade was Ungereimtes gethan, wenn ich Belehrung darüber mir      
  ausgebeten und Sie noch darum ganz inständigst ersuche.      
           
           
  Drittens, ist mir das Verfahren der Critick der practischen Vernunft      
  ausserordentlich einleuchtend und fürtreflich. Sie hebt von objectiv=practischen      
  Principien an, welche die reine Vernunft ganz unabhängig      
  von aller Materie des Willens, für verbindend anerkennen muß.      
  Dieser anfänglich problematische Begrif erhält unwiderlegbare objective      
  Realität durch das Factum des Sittengesetzes. Aber ich gestehe, da      
  so einleuchtend wie der Uebergang der synthetischen Grundsätze der      
  transc: Urtheilskraft zu Gegenständen der Sinnenwelt, die ihnen unterworfen      
  sind vermittelst der Schemate, mir vorkömmt, mir der des      
  Sittengesetzes vermittelst des Typus desselben, nicht erscheint, und ich      
  würde wie von einer Last befreyet seyn, wenn Sie freundschaftlich, die      
  Nichtigkeit folgender Frage mir zeigen wollten. Ich frage nehmlich,      
  kann man sich nicht denken, daß das Sittengesetz etwas geböte, das      
  seinem Typus zuwider wäre, mit andern Worten: kann es nicht Handlungen      
  geben, bey denen eine Naturordnung nicht bestehen kann, und      
  die doch das Sittengesetz vorschreibt? Es ist ein bloß problematischer      
  Gedanke, aber ihm liegt doch das Wahre zum Grunde, daß die strenge      
  Nothwendigkeit des categorischen Imperativs, keinesweges von der      
  Möglichkeit des Bestehens einer Naturordnung herzuleiten ist; aber      
  darin werde ich irren, wenn ich die Uebereinstimmung beyder für zufällig      
  erkläre.      
           
  Und nun, lieber theurer Lehrer, werden Sie mir doch nicht abgeneigt,      
  wegen meines vieleicht ungestühmen Anhaltens mit meinen      
  Briefen. Ich liebe und verehre Sie unaussprechlich und bin mit Herz      
  und Seele der      
           
    Ihrige      
    Beck.      
           
           
           
    Anmerkung Kant's: Der Ausdruk: der schwarze Mensch bedeutet den Menschen so fern der Begrif von ihm in Ansehung der Schwarze bestimmt gegeben ist. aber der: der Mensch ist schwarz bedeutet die Handlung meines Bestimmens.      
           
     

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