Kant: AA X, Briefwechsel 1785 , Seite 402 |
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Text (Kant):
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| 239. | |||||||
| 02 | Von Iohann August Heinrich Ulrich. | ||||||
| 03 | Iena, den 21st April 1785. | ||||||
| 04 | Wohlgebohrner, | ||||||
| 05 | Hochgeschätztester Herr Professor, | ||||||
| 06 | Ich würde mich nicht unterstanden haben, Ew. Wohlgeb. beyliegendes | ||||||
| 07 | Schulbuch zu übersenden, wenn Sie nicht selbst durch das | ||||||
| 08 | vortreffliche litterärische Geschenk, wofür ich Ihnen unendlich verbunden | ||||||
| 09 | bin, mir einen ermunternden Beweis Ihrer gütigen Aufmercksamkeit | ||||||
| 10 | auf meine Bemühung, von Ihnen, vortrefflicher Mann, so viel in | ||||||
| 11 | meinen Iahren noch möglich ist, für mich und meine Zuhörer zu lernen, | ||||||
| 12 | hätten geben wollen. | ||||||
| 13 | Ew. Wohlgeb. werden zwar überall in meinem Buche Beweise | ||||||
| 14 | finden, daß ich zu Ihren fleisigsten Lesern und Schülern gehöre, aber | ||||||
| 15 | auch eben so mannigfaltige Proben, wie schwer es mir noch fällt, mich | ||||||
| 16 | allenthalben so ganz in Ihr System hinein zu dencken; und ich bitte | ||||||
| 17 | im voraus wegen mancherley Misverständnisse, deren Sie mich vielleicht | ||||||
| 18 | schuldig finden dürften, um Verzeihung. | ||||||
| 19 | Einer meiner Hauptzweifel, den ich noch bis dato nicht habe überwinden | ||||||
| 20 | können, den aber Ew. Wohlgeb. vielleicht mit 2 Worten zu | ||||||
| 21 | heben im Stande sind, ist dieser. Gesezt, der Gegner räumt mir ein: | ||||||
| 22 | Nach dem Begriff der Erfahrung, den Sie sowohl in der Critik der | ||||||
| 23 | r. V. als auch noch mehr in den Prolegomenen , festgesezt haben, | ||||||
| 24 | und die Categorien, z. E. die der Ursache, und der Grundsaz | ||||||
| 25 | der ursachl. Verbindung, die Bedingungen selbst der Möglichkeit | ||||||
| 26 | solchartiger Erfahrung; Er läugnet mir aber, daß der Mensch auf | ||||||
| 27 | Erfahrung in der Bedeutung Rechnung und Ansprüche machen | ||||||
| 28 | dürfe, wie soll ich Ihm da kurz und gründlich begegnen? | ||||||
| 29 | Ew. Wohlgeb. sehn, ich bin lehrbegierig genug, lieber meine | ||||||
| 30 | Schwachheit zu verrathen, als die Gelegenheit zu entbehren, an der | ||||||
| 31 | Quelle selbst Belehrung zu finden. | ||||||
| 32 | Recht glücklich würde ich mich schätzen, da ich mir jezt ein eigenes | ||||||
| 33 | Studium aus Ihrer Critick der r. V. und den darauf bereits gefolgten | ||||||
| 34 | und noch zu hoffenden Schriften mache, wenn Ew. Wohlgeb. mir erlauben | ||||||
| 35 | wollten, Ihnen von Zeit zu Zeit das, wo ich noch anstosse, | ||||||
| 36 | entdecken, und mir darüber Aufklärung ausbitten zu dürfen. | ||||||
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