Kant: AA IX, Immanuel Kant über ... , Seite 463

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 helfen, wenn man auf die Seite, wo die Muskeln stärker sind, mehr Gewicht      
  02 legte. Dies ist aber auch sehr gefährlich: denn welcher Mensch kann das      
  03 Gleichgewicht ausmachen? Am besten ist, daß das Kind sich selbst übe      
  04 und eine Stellung annehme, wenn sie ihm gleich beschwerlich wird, denn      
  05 alle Maschinen richten hier nichts aus.      
           
  06 Alle dergleichen künstliche Vorrichtungen sind um so nachtheiliger, da      
  07 sie dem Zwecke der Natur in einem organisirten, vernünftigen Wesen      
  08 gerade zuwider laufen, dem zufolge ihm die Freiheit bleiben muß, seine      
  09 Kräfte brauchen zu lernen. Man soll bei der Erziehung nur verhindern,      
  10 daß Kinder nicht weichlich werden. Abhärtung aber ist das Gegentheil von      
  11 Weichlichkeit. Man wagt zu viel, wenn man Kinder an alles gewöhnen      
  12 will. Die Erziehung der Russen geht hierin sehr weit. Es stirbt dabei      
  13 aber auch eine unglaubliche Zahl von Kindern. Die Angewohnheit ist      
  14 ein durch öftere Wiederholung desselben Genusses oder derselben Handlung      
  15 zur Nothwendigkeit gewordener Genuß oder Handlung. Nichts können      
  16 sich Kinder leichter angewöhnen, und nichts muß man ihnen also weniger      
  17 geben, als piquante Sachen, z. E. Toback, Branntwein und warme Getränke.      
  18 Die Entwöhnung dessen ist nachher sehr schwer und anfänglich mit      
  19 Beschwerden verbunden, weil durch den öftern Genuß eine Veränderung      
  20 in den Functionen unsers Körpers vorgegangen ist.      
           
  21 Je mehr aber der Angewohnheiten sind, die ein Mensch hat, desto      
  22 weniger ist er frei und unabhängig. Bei dem Menschen ist es, wie bei      
  23 allen andern Thieren: wie es frühe gewöhnt wird, so bleibt auch nachher      
  24 ein gewisser Hang bei ihm. Man muß also verhindern, daß sich das Kind      
  25 an nichts gewöhne; man muß keine Angewohnheit bei ihm entstehen      
  26 lassen.      
           
  27 Viele Eltern wollen ihre Kinder an Alles gewöhnen. Dieses taugt      
  28 aber nicht. Denn die menschliche Natur überhaupt, theils auch die Natur      
  29 der einzelnen Subjecte läßt sich nicht an Alles gewöhnen, und es bleiben      
  30 viele Kinder in der Lehre. So wollen sie z. E., daß die Kinder zu aller      
  31 Zeit sollen schlafen gehen und aufstehen können, oder daß sie essen sollen,      
  32 wenn sie es verlangen. Es gehört aber eine besondere Lebensart dazu,      
  33 wenn man dieses aushalten soll, eine Lebensart, die den Leib roborirt und      
  34 das also wieder gut macht, was jenes verdorben hat. Finden wir doch      
  35 auch in der Natur manches Periodische. Die Thiere haben auch ihre bestimmte      
  36 Zeit zum Schlafen. Der Mensch sollte sich auch an eine gewisse      
  37 Zeit gewöhnen, damit der Körper nicht in seinen Functionen gestört      
           
     

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