Kant: AA VIII, Das Ende aller ... , Seite 334

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 dadurch geschieht, daß der Augenblick, der das Ende der erstern ausmacht,      
  02 auch der Anfang der andern sein soll, mithin diese mit jener in eine      
  03 und dieselbe Zeitreihe gebracht wird, welches sich widerspricht.      
           
  04 Aber wir sagen auch, daß wir uns eine Dauer als unendlich (als      
  05 Ewigkeit) denken: nicht darum weil wir etwa von ihrer Größe irgend einen      
  06 bestimmbaren Begriff haben - denn das ist unmöglich, da ihr die Zeit      
  07 als Maß derselben gänzlich fehlt - ; sondern jener Begriff ist, weil, wo es      
  08 keine Zeit giebt, auch kein Ende Statt hat, bloß ein negativer von der      
  09 ewigen Dauer, wodurch wir in unserm Erkenntniß nicht um einen Fußbreit      
  10 weiter kommen, sondern nur gesagt werden will, daß der Vernunft      
  11 in (praktischer) Absicht auf den Endzweck auf dem Wege beständiger Veränderungen      
  12 nie Genüge gethan werden kann: obzwar auch, wenn sie es      
  13 mit dem Princip des Stillstandes und der Unveränderlichkeit des Zustandes      
  14 der Weltwesen versucht, sie sich eben so wenig in Ansehung ihres theoretischen      
  15 Gebrauchs genug thun, sondern vielmehr in gänzliche Gedankenlosigkeit      
  16 gerathen würde; da ihr dann nichts übrig bleibt, als sich eine ins      
  17 Unendliche (in der Zeit) fortgehende Veränderung im beständigen Fortschreiten      
  18 zum Endzweck zu denken, bei welchem die Gesinnung (welche      
  19 nicht wie jenes ein Phänomen, sondern etwas Übersinnliches, mithin nicht      
  20 in der Zeit veränderlich ist) bleibt und beharrlich dieselbe ist. Die Regel      
  21 des praktischen Gebrauchs der Vernunft dieser Idee gemäß will also nichts      
  22 weiter sagen als: wir müssen unsre Maxime so nehmen, als ob bei allen      
  23 ins Unendliche gehenden Verändrungen vom Guten zum Bessern unser      
  24 moralischer Zustand der Gesinnung nach (der homo Noumenon , " dessen      
  25 Wandel im Himmel ist") gar keinem Zeitwechsel unterworfen wäre.      
           
  26 Daß aber einmal ein Zeitpunkt eintreten wird, da alle Verändrung      
  27 (und mit ihr die Zeit selbst) aufhört, ist eine die Einbildungskraft empörende      
  28 Vorstellung. Alsdann wird nämlich die ganze Natur starr und gleichsam      
  29 versteinert: der letzte Gedanke, das letzte Gefühl bleiben alsdann in      
  30 dem denkenden Subject stehend und ohne Wechsel immer dieselben. Für ein      
  31 Wesen, welches sich seines Daseins und der Größe desselben (als Dauer)      
  32 nur in der Zeit bewußt werden kann, muß ein solches Leben, wenn es anders      
  33 Leben heißen mag, der Vernichtung gleich scheinen: weil es, um sich in      
  34 einen solchen Zustand hineinzudenken, doch überhaupt etwas denken muß,      
  35 Denken aber ein Reflectiren enthält, welches selbst nur in der Zeit geschehen      
  36 kann. - Die Bewohner der andern Welt werden daher so vorgestellt,      
  37 wie sie nach Verschiedenheit ihres Wohnorts (dem Himmel oder der      
           
     

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