Kant: AA VIII, Das Ende aller ... , Seite 333

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 auf den Endzweck aller Dinge gerichteten Grundsätze zu denken      
  02 haben (wodurch sie, die sonst gänzlich leer wären, objective praktische Realität      
  03 bekommen): - so haben wir ein freies Feld vor uns, dieses Product      
  04 unsrer eignen Vernunft, den allgemeinen Begriff von einem Ende      
  05 aller Dinge, nach dem Verhältniß, das er zu unserm Erkenntnißvermögen      
  06 hat, einzutheilen und die unter ihm stehenden zu klassificiren.      
           
  07 Diesem nach wird das Ganze 1) in das natürliche *) Ende aller      
  08 Dinge nach der Ordnung moralischer Zwecke göttlicher Weisheit, welches      
  09 wir also (in praktischer Absicht) wohl verstehen können, 2) in das mystische      
  10 (übernatürliche) Ende derselben in der Ordnung der wirkenden      
  11 Ursachen, von welchen wir nichts verstehen, 3) in das widernatürliche      
  12 (verkehrte) Ende aller Dinge, welches von uns selbst dadurch, daß wir den      
  13 Endzweck mißverstehen, herbeigeführt wird, eingetheilt und in drei      
  14 Abtheilungen vorgestellt werden: wovon die erste so eben abgehandelt      
  15 worden, und nun die zwei noch übrigen folgen.      
           
  16 In der Apokalypse (X, 5, 6) "hebt ein Engel seine Hand auf gen      
  17 Himmel und schwört bei dem Lebendigen von Ewigkeit zu Ewigkeit, der      
  18 den Himmel erschaffen hat etc.: daß hinfort keine Zeit mehr sein      
  19 soll."      
           
  20 Wenn man nicht annimmt, daß dieser Engel "mit seiner Stimme      
  21 von sieben Donnern" (V. 3) habe Unsinn schreien wollen, so muß er damit      
  22 gemeint haben, daß hinfort keine Veränderung sein soll; denn wäre in der      
  23 Welt noch Veränderung, so wäre auch die Zeit da, weil jene nur in dieser      
  24 Statt finden kann und ohne ihre Voraussetzung gar nicht denkbar ist.      
           
  25 Hier wird nun ein Ende aller Dinge als Gegenstände der Sinne vorgestellt,      
  26 wovon wir uns gar keinen Begriff machen können: weil wir uns      
  27 selbst unvermeidlich in Widersprüche verfangen, wenn wir einen einzigen      
  28 Schritt aus der Sinnenwelt in die intelligible thun wollen; welches hier      
           
    *) Natürlich ( formaliter ) heißt, was nach Gesetzen einer gewissen Ordnung, welche es auch sei, mithin auch der moralischen (also nicht immer bloß der physischen) nothwendig folgt. Ihm ist das Nichtnatürliche, welches entweder das Übernatürliche, oder das Widernatürliche sein kann, entgegengesetzt. Das Nothwendige aus Naturursachen würde auch als materialiter=natürlich (physisch=nothwendig) vorgestellt werden.      
           
     

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