Kant: AA VIII, Idee zu einer allgemeinen ... , Seite 017 |
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| 01 | Was man sich auch in metaphysischer Absicht für einen Begriff von | ||||||
| 02 | der Freiheit des Willens machen mag: so sind doch die Erscheinungen | ||||||
| 03 | desselben, die menschlichen Handlungen, eben so wohl als jede andere | ||||||
| 04 | Naturbegebenheit nach allgemeinen Naturgesetzen bestimmt. Die Geschichte, | ||||||
| 05 | welche sich mit der Erzählung dieser Erscheinungen beschäftigt, so tief auch | ||||||
| 06 | deren Ursachen verborgen sein mögen, läßt dennoch von sich hoffen: daß, | ||||||
| 07 | wenn sie das Spiel der Freiheit des menschlichen Willens im Großen | ||||||
| 08 | betrachtet, sie einen regelmäßigen Gang derselben entdecken könne; und | ||||||
| 09 | daß auf die Art, was an einzelnen Subjecten verwickelt und regellos in | ||||||
| 10 | die Augen fällt, an der ganzen Gattung doch als eine stetig fortgehende, obgleich | ||||||
| 11 | langsame Entwicklung der ursprünglichen Anlagen derselben werde | ||||||
| 12 | erkannt werden können. So scheinen die Ehen, die daher kommenden Geburten | ||||||
| 13 | und das Sterben, da der freie Wille der Menschen auf sie so großen | ||||||
| 14 | Einfluß hat, keiner Regel unterworfen zu sein, nach welcher man die Zahl | ||||||
| 15 | derselben zum voraus durch Rechnung bestimmen könne; und doch beweisen | ||||||
| 16 | die jährlichen Tafeln derselben in großen Ländern, daß sie eben so wohl | ||||||
| 17 | nach beständigen Naturgesetzen geschehen, als die so unbeständigen Witterungen, | ||||||
| 18 | deren Eräugniß man einzeln nicht vorher bestimmen kann, die aber | ||||||
| 19 | im Ganzen nicht ermangeln den Wachsthum der Pflanzen, den Lauf der | ||||||
| 20 | Ströme und andere Naturanstalten in einem gleichförmigen, ununterbrochenen | ||||||
| 21 | Gange zu erhalten. Einzelne Menschen und selbst ganze Völker | ||||||
| 22 | denken wenig daran, daß, indem sie, ein jedes nach seinem Sinne und einer | ||||||
| 23 | oft wider den andern, ihre eigene Absicht verfolgen, sie unbemerkt an der | ||||||
| 24 | Naturabsicht, die ihnen selbst unbekannt ist, als an einem Leitfaden fortgehen | ||||||
| 25 | und an derselben Beförderung arbeiten, an welcher, selbst wenn sie | ||||||
| 26 | ihnen bekannt würde, ihnen doch wenig gelegen sein würde. | ||||||
| 27 | Da die Menschen in ihren Bestrebungen nicht bloß instinctmäßig wie | ||||||
| 28 | Thiere und doch auch nicht wie vernünftige Weltbürger nach einem verabredeten | ||||||
| 29 | Plane im Ganzen verfahren: so scheint auch keine planmäßige Geschichte | ||||||
| 30 | (wie etwa von den Bienen oder den Bibern) von ihnen möglich zu | ||||||
| 31 | sein. Man kann sich eines gewissen Unwillens nicht erwehren, wenn | ||||||
| 32 | man ihr Thun und Lassen auf der großen Weltbühne aufgestellt sieht und | ||||||
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