Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 477

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 ihm eigenen Gründlichkeit und Klarheit weitläuftig ausführt, hat sich dadurch      
  02 ein unsterbliches Verdienst erworben. - Allein wodurch gewinnt      
  03 dieser Beweis so gewaltigen Einfluß auf das Gemüth, vornehmlich in der      
  04 Beurtheilung durch kalte Vernunft (denn die Rührung und Erhebung      
  05 desselben durch die Wunder der Natur könnte man zur Überredung rechnen),      
  06 auf eine ruhige, sich gänzlich dahin gebende Beistimmung? Es sind nicht      
  07 die physischen Zwecke, die alle auf einen unergründlichen Verstand in der      
  08 Weltursache hindeuten; denn diese sind dazu unzureichend, weil sie das      
  09 Bedürfniß der fragenden Vernunft nicht befriedigen. Denn wozu sind      
  10 (fragt diese) alle jene künstliche Naturdinge; wozu der Mensch selbst, bei      
  11 dem wir als dem letzten für uns denkbaren Zwecke der Natur stehen bleiben      
  12 müssen; wozu ist diese gesammte Natur da, und was ist der Endzweck      
  13 so großer und mannigfaltiger Kunst? Zum Genießen, oder zum Anschauen,      
  14 Betrachten und Bewundern (welches, wenn es dabei bleibt, auch      
  15 nichts weiter als Genuß von besonderer Art ist), als dem letzten Endzweck,      
  16 warum die Welt und der Mensch selbst da ist, geschaffen zu sein, kann die      
  17 Vernunft nicht befriedigen: denn diese setzt einen persönlichen Werth, den      
  18 der Mensch sich allein geben kann, als Bedingung, unter welcher allein er      
  19 und sein Dasein Endzweck sein kann, voraus. In Ermangelung desselben      
  20 (der allein eines bestimmten Begriffs fähig ist) thun die Zwecke der Natur      
  21 seiner Nachfrage nicht Genüge, vornehmlich weil sie keinen bestimmten      
  22 Begriff von dem höchsten Wesen als einem allgenugsamen (und eben      
  23 darum einigen, eigentlich so zu nennenden höchsten) Wesen und den Gesetzen,      
  24 nach denen sein Verstand Ursache der Welt ist, an die Hand geben      
  25 können.      
           
  26 Daß also der physisch=teleologische Beweis, gleich als ob er zugleich      
  27 ein theologischer wäre, überzeugt, rührt nicht von der Benützung der Ideen      
  28 von Zwecken der Natur als so viel empirischen Beweisgründen eines höchsten      
  29 Verstandes her; sondern es mischt sich unvermerkt der jedem Menschen      
  30 beiwohnende und ihn so innigst bewegende moralische Beweisgrund      
  31 in den Schluß mit ein, nach welchem man dem Wesen, welches sich so unbegreiflich      
  32 künstlich in den Zwecken der Natur offenbart, auch einen Endzweck,      
  33 mithin Weisheit (obzwar ohne dazu durch die Wahrnehmung der      
  34 ersteren berechtigt zu sein) beilegt und also jenes Argument in Ansehung      
  35 des Mangelhaften, welches ihm noch anhängt, willkürlich ergänzt. In der      
  36 That bringt also nur der moralische Beweisgrund die Überzeugung und      
  37 auch diese nur in moralischer Rücksicht, wozu jedermann seine Beistimmung      
           
     

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