Kant: AA XI, Briefwechsel 1790 , Seite 228

     
           
 

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    453.      
  02 An Iohann Friedrich Reichardt.      
           
  03 15. Oct. 1790.      
           
  04 Theurester Freund.      
  05 Meine gringe Bemühungen im ersten philosoph. Unterrichte,      
  06 welchen Sie bey mir genommen haben, wenn ich mir schmeicheln darf,      
  07 daß sie zu der jetzigen rühmlichen Entwickelung Ihrer Talente etwas      
  08 beygetragen haben, belohnen sich von selbst und Ihre Äußerung einer      
  09 Erkentlichkeit dafür nehme ich als ein Zeichen der Freundschaft gegen      
  10 mich dankbarlich an.      
           
  11 Aus dem Gesichtspuncte der letzteren muß ich es auch beurtheilen,      
  12 wenn Sie von meinen Schriften seelenberuhigende Eröfnungen hoffen,      
  13 wiewohl ihre Bearbeitung diese Wirkung bey mir gethan hat, die sich      
  14 aber, wie ich aus vielen Beyspielen ersehe, nur mit Schwierigkeit      
  15 anderen mittheilen läßt; woran wohl die dornigte Pfade der Speculation,      
  16 die doch, um solchen Grundsätzen Dauerhaftigkeit zu verschaffen,      
  17 einmal betreten werden müssen, eigentlich Schuld seyn mögen.      
           
  18 Angenehm würde es mir seyn, wenn die Grundzüge, die ich von      
  19 dem so schweer zu erforschenden Geschmacksvermögen entworfen habe,      
  20 durch die Hand eines solchen Kenners der Producte desselben, mehrere      
  21 Bestimmtheit und Ausführlichkeit bekommen könnten. Ich habe mich      
  22 damit begnügt, zu zeigen: daß ohne Sittliches Gefühl es für uns      
  23 nichts Schönes oder Erhabenes geben würde: daß sich eben darauf der      
  24 gleichsam gesetzmäßige Anspruch auf Beyfall bey allem, was diesen      
  25 Nahmen führen soll, gründe und daß das Subjective der Moralität      
  26 in unserem Wesen, welches unter dem Nahmen des sittlichen Gefühls      
  27 unerforschlich ist, dasjenige sey, worauf, mithin nicht auf obiective      
  28 Vernunftbegriffe, dergleichen die Beurtheilung nach moralischen Gesetzen      
  29 erfordert, in Beziehung, urtheilen zu können, Geschmak sey:      
  30 der also keinesweges das Zufällige der Empfindung, sondern ein (obzwar      
  31 nicht discursives, sondern intuitives) Princip a priori zum      
  32 Grunde hat.      
           
  33 Das Geschenk mit den schönen Landcharten, welches Sie mir zugedacht      
  34 haben, wird mir, vornehmlich als ein Denkmal Ihres freundschaftlichen      
           
     

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