Kant: AA XI, Briefwechsel 1790 , Seite 177

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 gehabt mich so dreist an Ihnen zu wenden, aber der allgemeine Ruf      
  02 schildert Ihnen so edel, so menschenfreundlich daß der Gedanke jhnen      
  03 zu mißfallen durch das innigste Zutrauen auf Ihre Güte verdrängt      
  04 wird.      
           
  05 Ich brachte als ich vor 3 Iahren in dieß Land kam einen Hofmeister      
  06 für meine beyden Söhne mit; dieser starb vor einigen Tagen,      
  07 und Seine Stelle gut zu ersetzen ist jetzt um so mehr mein eifriger      
  08 Wunsch da durch die Abwesenheit meines Mannes meine Söhne die      
  09 Leitung des vortreflichsten Vaters entbehren müßen, und einen Führer      
  10 um so nöthiger brauchen. Ich glaube diesen Endzweck am sichersten      
  11 zu erreichen wenn ich Eu: HochEdelgeb. beschwöre mir in dieser Wahl      
  12 behülflich zu seyn. Ich sehe mich genöthigt Dieselben mit meiner Familie      
  13 bekannter zu machen, jhnen meine Söhne so unpartheyisch zu schildern      
  14 als es eine Mutter vermag Ihnen den Grad Ihrer Kenntniße zu bestimmen,      
  15 um wo möglich dadurch die Wahl zu erleichtern. Mein      
  16 ältester Sohn ist 9 der jüngere 7 jahr alt. Beyde sind gesund an      
  17 Geist und Körper, beyde haben sanfte gefühlvolle Herzen, heiter offne      
  18 Seelen durch keinen Zwang zur Verstellung gereitzt, durch keine Härte      
  19 gedemüthigt oder erbittert; äußerst lebhaft, oft leichtsinnig und unbedachtsam,      
  20 so weit gleichen sich beyde vollkommen. Der älteste hat      
  21 bey vielen Fähigkeiten eben so viel Lehrbegierde, den Wunsch sich      
  22 einigermaßen auszuzeichnen, und die Ueberzeugung daß man nur      
  23 durch Anstrengung und Bemühung diesen Endzweck erreicht. Bey solchen      
  24 glücklichen Anlagen würde Er es in jeder Seinen Alter angemeßnen      
  25 Wißenschafft weiter gebracht haben wenn Sein bisheriger Hofmeister      
  26 selbst einige Kenntniße gehabt hätte, allein dieser war ein Franzose      
  27 der außer seiner Sprache den Kindern keinen Unterricht geben konnte;      
  28 wir suchten diesen Mangel durch einen Geistlichen aus der Nachbarschafft      
  29 zu ersetzen, aber die Geschäffte dieses würdigen Mannes und seine      
  30 Entfernung setzten jhm außer Stand meine Kinder so oft zu unterrichten      
  31 als wir gewünscht hätten. Mein ältester Sohn spricht, ließt,      
  32 und schreibt, deutsch und französisch gut; durch Sein glückliches Gedächtni      
  33 hat Er den Unterricht in Historie und Geographie ziemlich      
  34 genutzt, im Rechnen hat Er es weiter gebracht und wird daher Seinen      
  35 Lehrer den Unterricht in der Mathematick erleichtern. Mein jüngster      
  36 Sohn hat bey eben den Fähigkeiten nicht eben die Fortschritte gemacht;      
  37 ein noch größerer Grad von Lebhaftigkeit, mehr kindischer Leichtsinn,      
           
     

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