Kant: AA IX, Immanuel Kants physische ... , Seite 206 |
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| 01 | Meinung gerathen, die schon die Alten vortrugen, daß die Meere einen | ||||||
| 02 | unterirdischen Zusammenhang hätten, und das Wasser durch dieselben | ||||||
| 03 | unterirdischen Canäle wieder zurücktrete. Die Alten glaubten immer, die | ||||||
| 04 | Circulation des Wassers müsse unter der Erde vor sich gehen; allein seit | ||||||
| 05 | dem man die Arithmetik auf die Physik angewendet hat, hat man gefunden, | ||||||
| 06 | daß jene Circulation über der Erde geschieht und zwar vermittelst | ||||||
| 07 | der Destillation, nur daß sie uns freilich nicht sichtbar wird. | ||||||
| 08 | Man lernte nämlich einsehen, daß die Ausdünstung des Meerwassers weit | ||||||
| 09 | mehr betrage als der tägliche Zufluß aus den Strömen, indem die | ||||||
| 10 | schmalen Flüsse in Ansehung der Breite des Oceans, über den sich doch | ||||||
| 11 | die Ausdünstung erstreckt, verhältnißmäßig ein sehr weniges Wasser | ||||||
| 12 | hineinführen. Der Ocean müßte im Gegentheil bei dem alleinigen Zuflusse | ||||||
| 13 | der Ströme kleiner werden und abnehmen, wenn er nicht zu seiner Erhaltung | ||||||
| 14 | noch andere Quellen hätte. Dahin gehören der Regen und Schnee | ||||||
| 15 | usw., die perpendiculär auf das Meer zurückfallen, so daß der Ocean im | ||||||
| 16 | Grunde eben so viel ausdünstet, als er auf andern Wegen Zuwachs erhält. | ||||||
| 17 | Im ganzen Weltmeere ist der Zufluß durch Ströme der Ausdünstung | ||||||
| 18 | gleich, weil die Flüsse nicht mehr Wasser geben können, als sie | ||||||
| 19 | durch die Ausdünstung des Meeres mittelbar oder unmittelbar bekommen. | ||||||
| 20 | Weil aber einige Meere vom Ocean abgeschnitten sind und keinen Zusammenhang | ||||||
| 21 | mit demselben haben, wie z. B. das Kaspische, einige aber | ||||||
| 22 | wieder kleine Bassins haben, wie die Ostsee, und des ungeachtet viele, beträchtliche | ||||||
| 23 | Flüsse aufnehmen: so können dergleichen Meere höher sein als | ||||||
| 24 | der Ocean. Da es auf der andern Seite aber wieder Meere giebt, die | ||||||
| 25 | zwar im Zusammenhange mit dem Weltmeere stehen und größere Busen | ||||||
| 26 | haben, aber gar keine oder doch nur wenige Flüsse aufnehmen, bei denen | ||||||
| 27 | also die Ausdünstung größer ist als der Zufluß: so müssen Meere dieser | ||||||
| 28 | Art niedriger stehen, als der Ocean. Ein solches Meer ist z. B. das | ||||||
| 29 | Mittelländische. Wenn die Straße bei Gibraltar vermauert würde, so | ||||||
| 30 | daß kein Zufluß aus dem Atlantischen in das Mittelländische Meer stattfände: | ||||||
| 31 | so würde es seiner der großen Oberfläche halber gewiß sehr starken | ||||||
| 32 | Ausdünstung halber und wegen des geringen Zuflusses der Ströme eintrocknen | ||||||
| 33 | müssen; das Bassin würde immer kleiner werden, obwohl es | ||||||
| 34 | nicht zur gänzlichen Austrocknung kommen, sondern alsdann darin aufhören | ||||||
| 35 | würde, wenn die Ströme gerade nur so viel Wasser noch hineinführten, | ||||||
| 36 | als es wieder ausdünstet. In dieser Höhe würde es hernach | ||||||
| 37 | immer stehen bleiben. Jetzt aber geht beständig ein Strom aus dem | ||||||
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