Kant: AA IX, Immanuel Kant's Logik Ein ... , Seite 052 |
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| 01 | Wahrheit oder der Rationabilität des Erkenntnisses ist positiv. Und | ||||||
| 02 | hier gelten folgende Regeln: | ||||||
| 03 | 1) Aus der Wahrheit der Folge läßt sich auf die Wahrheit des | ||||||
| 04 | Erkenntnisses als Grundes schließen, aber nur negativ: wenn | ||||||
| 05 | Eine falsche Folge aus einer Erkenntniß fließt, so ist die Erkenntniß | ||||||
| 06 | selbst falsch. Denn wenn der Grund wahr wäre, so müßte die Folge | ||||||
| 07 | auch wahr sein, weil die Folge durch den Grund bestimmt wird. | ||||||
| 08 | Man kann aber nicht umgekehrt schließen: wenn keine falsche Folge | ||||||
| 09 | aus einem Erkenntnisse fließt, so ist es wahr; denn man kann aus einem | ||||||
| 10 | falschen Grunde wahre Folgen ziehen. | ||||||
| 11 | 2) Wenn alle Folgen eines Erkenntnisses wahr sind: so ist | ||||||
| 12 | das Erkenntniß auch wahr. Denn wäre nur etwas Falsches im | ||||||
| 13 | Erkenntnisse, so müßte auch eine falsche Folge stattfinden. | ||||||
| 14 | Aus der Folge läßt sich also zwar auf einen Grund schließen, aber | ||||||
| 15 | ohne diesen Grund bestimmen zu können. Nur aus dem Inbegriffe aller | ||||||
| 16 | Folgen allein kann man auf einen bestimmten Grund schließen, da | ||||||
| 17 | dieser der wahre sei. | ||||||
| 18 | Die erstere Schlußart, nach welcher die Folge nur ein negativ und | ||||||
| 19 | indirect zureichendes Kriterium der Wahrheit eines Erkenntnisses sein | ||||||
| 20 | kann, heißt in der Logik die apagogische ( modus tollens ). | ||||||
| 21 | Dieses Verfahren, wovon in der Geometrie häufig Gebrauch gemacht | ||||||
| 22 | wird, hat den Vortheil, daß ich aus einem Erkenntnisse nur Eine falsche | ||||||
| 23 | Folge herleiten darf, um seine Falschheit zu beweisen. Um z. B. darzuthun, | ||||||
| 24 | daß die Erde nicht platt sei, darf ich, ohne positive und directe | ||||||
| 25 | Gründe vorzubringen, apagogisch und indirect nur so schließen: Wäre die | ||||||
| 26 | Erde platt, so müßte der Polarstern immer gleich hoch sein; nun ist dieses | ||||||
| 27 | aber nicht der Fall, folglich ist sie nicht platt. | ||||||
| 28 | Bei der andern, der positiven und directen Schlußart ( modus | ||||||
| 29 | ponens ) tritt die Schwierigkeit ein, daß sich die Allheit der Folgen nicht | ||||||
| 30 | apodiktisch erkennen läßt, und daß man daher durch die gedachte Schlußart | ||||||
| 31 | nur zu einer wahrscheinlichen und hypothetisch=wahren Erkenntniß | ||||||
| 32 | (Hypothesen) geführt wird, nach der Voraussetzung: daß da, wo viele | ||||||
| 33 | Folgen wahr sind, die übrigen auch alle wahr sein mögen. | ||||||
| 34 | Wir werden also hier drei Grundsätze, als allgemeine, bloß formale | ||||||
| 35 | oder logische Kriterien der Wahrheit aufstellen können; diese sind | ||||||
| 36 | 1) der Satz des Widerspruchs und der Identität ( principium | ||||||
| 37 | contradictionis und identitatis ), durch welchen die innere Möglichkeit | ||||||
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