Kant: AA IX, Immanuel Kant's Logik Ein ... , Seite 048 |
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| 01 | zu der Fassungskraft des Publicums und den gewohnten Ausdrücken, | ||||||
| 02 | wobei die scholastische Vollkommenheit nicht hintenan gesetzt, sondern | ||||||
| 03 | nur die Einkleidung der Gedanken so eingerichtet wird, daß man das | ||||||
| 04 | Gerüst, das Schulgerechte und Technische von jener Vollkommenheit | ||||||
| 05 | nicht sehen läßt (so wie man mit Bleistift Linien zieht, auf die man schreibt | ||||||
| 06 | und sie nachher wegwischt), diese wahrhaft populäre Vollkommenheit des | ||||||
| 07 | Erkenntnisses ist in der That eine große und seltene Vollkommenheit, die | ||||||
| 08 | von vieler Einsicht in die Wissenschaft zeigt. Auch hat sie außer vielen | ||||||
| 09 | andern Verdiensten noch dieses, daß sie einen Beweis für die vollständige | ||||||
| 10 | Einsicht in eine Sache geben kann. Denn die bloß scholastische Prüfung | ||||||
| 11 | einer Erkenntniß läßt noch den Zweifel übrig: ob die Prüfung nicht einseitig | ||||||
| 12 | sei, und ob die Erkenntniß selbst auch wohl einen von allen Menschen | ||||||
| 13 | ihr zugestandenen Werth habe? Die Schule hat ihre Vorurtheile so wie | ||||||
| 14 | der gemeine Verstand. Eines verbessert hier das andre. Es ist daher | ||||||
| 15 | wichtig, ein Erkenntniß an Menschen zu prüfen, deren Verstand an keiner | ||||||
| 16 | Schule hängt. | ||||||
| 17 | Diese Vollkommenheit der Erkenntniß, wodurch sich dieselbe zu einer | ||||||
| 18 | leichten und allgemeinen Mittheilung qualificirt, könnte man auch die | ||||||
| 19 | äußere Extension oder die extensive Größe eines Erkenntnisses nennen, | ||||||
| 20 | sofern es äußerlich unter viele Menschen ausgebreitet ist. | ||||||
| 21 | Da es so viele und mannigfaltige Erkenntnisse giebt, so wird man | ||||||
| 22 | wohl thun, sich einen Plan zu machen, nach welchem man die Wissenschaften | ||||||
| 23 | so ordnet, wie sie am besten zu seinen Zwecken zusammen stimmen | ||||||
| 24 | und zu Beförderung derselben beitragen. Alle Erkenntnisse stehen unter | ||||||
| 25 | einander in einer gewissen natürlichen Verknüpfung. Sieht man nun bei | ||||||
| 26 | dem Bestreben nach Erweiterung der Erkenntnisse nicht auf diesen ihren | ||||||
| 27 | Zusammenhang: so wird aus allem Vielwissen doch weiter nichts als bloße | ||||||
| 28 | Rhapsodie. Macht man sich aber eine Hauptwissenschaft zum Zweck und | ||||||
| 29 | betrachtet alle andern Erkenntnisse nur als Mittel, um zu derselben zu gelangen: | ||||||
| 30 | so bringt man in sein Wissen einen gewissen systematischen Character. | ||||||
| 31 | Und um nach einem solchen wohlgeordneten und zweckmäßigen | ||||||
| 32 | Plane bei Erweiterung seiner Erkenntnisse zu Werke zu gehen, muß man | ||||||
| 33 | also jenen Zusammenhang der Erkenntnisse unter einander kennen zu lernen | ||||||
| 34 | suchen. Dazu giebt die Architektonik der Wissenschaften Anleitung, | ||||||
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