Kant: AA IX, Immanuel Kant's Logik Ein ... , Seite 042 |
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| 01 | Was wir nicht wissen können, ist über unsern Horizont, was wir | ||||||
| 02 | nicht wissen dürfen oder nicht zu wissen brauchen, außer unserm Horizonte. | ||||||
| 03 | Dieses letztere kann jedoch nur relativ gelten in Beziehung auf | ||||||
| 04 | diese oder jene besondren Privatzwecke, zu deren Erreichung gewisse Erkenntnisse | ||||||
| 05 | nicht nur nichts beitragen, sondern ihr sogar hinderlich sein | ||||||
| 06 | könnten. Denn schlechthin und in aller Absicht unnütz und unbrauchbar | ||||||
| 07 | ist doch kein Erkenntniß, ob wir gleich seinen Nutzen nicht immer einsehen | ||||||
| 08 | können. Es ist daher ein eben so unweiser als ungerechter Vorwurf, der | ||||||
| 09 | großen Männern, welche mit mühsamem Fleiße die Wissenschaften bearbeiten, | ||||||
| 10 | von schalen Köpfen gemacht wird, wenn diese hierbei fragen: wozu | ||||||
| 11 | ist das nütze? Diese Frage muß man, indem man sich mit Wissenschaften | ||||||
| 12 | beschäftigen will, gar nicht einmal aufwerfen. Gesetzt, eine Wissenschaft | ||||||
| 13 | könnte nur über irgend ein mögliches Object Aufschlüsse geben, so | ||||||
| 14 | wäre sie um deswillen schon nützlich genug. Jede logisch vollkommene | ||||||
| 15 | Erkenntniß hat immer irgend einen möglichen Nutzen, der, obgleich uns | ||||||
| 16 | bis jetzt unbekannt, doch vielleicht von der Nachkommenschaft wird gefunden | ||||||
| 17 | werden. Hätte man bei Cultur der Wissenschaften immer nur auf den | ||||||
| 18 | materiellen Gewinn, den Nutzen derselben gesehen, so würden wir keine | ||||||
| 19 | Arithmetik und Geometrie haben. Unser Verstand ist auch überdies so | ||||||
| 20 | eingerichtet, daß er in der bloßen Einsicht Befriedigung findet und mehr | ||||||
| 21 | noch als in dem Nutzen, der daraus entspringt. Dieses merkte schon | ||||||
| 22 | Plato an. Der Mensch fühlt seine eigene Vortrefflichkeit dabei, er empfindet, | ||||||
| 23 | was es heiße, Verstand haben. Menschen, die das nicht empfinden, | ||||||
| 24 | müssen die Thiere beneiden. Der innere Werth, den Erkenntnisse durch | ||||||
| 25 | logische Vollkommenheit haben, ist mit ihrem äußern, dem Werthe in | ||||||
| 26 | der Anwendung, nicht zu vergleichen. | ||||||
| 27 | Wie das, was außer unserm Horizonte liegt, sofern wir es nach | ||||||
| 28 | unsern Absichten, als entbehrlich für uns, nicht wissen dürfen, so ist auch | ||||||
| 29 | das, was unter unserm Horizont liegt, sofern wir es, als schädlich für | ||||||
| 30 | uns, nicht wissen sollen, nur in einem relativen, keinesweges aber im | ||||||
| 31 | absoluten Sinne zu verstehen. | ||||||
| 32 | In Absicht auf die Erweiterung und Demarcation unserer Erkenntniß | ||||||
| 33 | sind folgende Regeln zu empfehlen: | ||||||
| 34 | Man muß sich seinen Horizont | ||||||
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