Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 278

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 sondern durchs Gesetz der Menschheit nothwendiger Vertrag, d. i. wenn      
  02 Mann und Weib einander ihren Geschlechtseigenschaften nach wechselseitig      
  03 genießen wollen, so müssen sie sich nothwendig verehlichen, und dieses ist      
  04 nach Rechtsgesetzen der reinen Vernunft nothwendig.      
           
  05
§ 25.
     
           
  06 Denn der natürliche Gebrauch, den ein Geschlecht von den Geschlechtsorganen      
  07 des anderen macht, ist ein Genuß, zu dem sich ein Theil dem      
  08 anderen hingiebt. In diesem Act macht sich ein Mensch selbst zur Sache,      
  09 welches dem Rechte der Menschheit an seiner eigenen Person widerstreitet.      
  10 Nur unter der einzigen Bedingung ist dieses möglich, daß, indem die eine      
  11 Person von der anderen gleich als Sache erworben wird, diese gegenseitig      
  12 wiederum jene erwerbe; denn so gewinnt sie wiederum sich selbst      
  13 und stellt ihre Persönlichkeit wieder her. Es ist aber der Erwerb eines      
  14 Gliedmaßes am Menschen zugleich Erwerbung der ganzen Person,      
  15 weil diese eine absolute Einheit ist; - folglich ist die Hingebung und Annehmung      
  16 eines Geschlechts zum Genuß des andern nicht allein unter der      
  17 Bedingung der Ehe zulässig, sondern auch allein unter derselben möglich.      
  18 Daß aber dieses persönliche Recht es doch zugleich auf dingliche      
  19 Art sei, gründet sich darauf, weil, wenn eines der Eheleute sich verlaufen,      
  20 oder sich in eines Anderen Besitz gegeben hat, das andere es jederzeit      
  21 und unweigerlich gleich als eine Sache in seine Gewalt zurückzubringen      
  22 berechtigt ist.      
           
  23
§ 26.
     
           
  24 Aus denselben Gründen ist das Verhältniß der Verehlichten ein      
  25 Verhältniß der Gleichheit des Besitzes, sowohl der Personen, die einander      
  26 wechselseitig besitzen (folglich nur in Monogamie, denn in einer      
  27 Polygamie gewinnt die Person, die sich weggiebt, nur einen Theil desjenigen,      
  28 dem sie ganz anheim fällt, und macht sich also zur bloßen Sache),      
  29 als auch der Glücksgüter, wobei sie doch die Befugniß haben, sich, obgleich      
  30 nur durch einen besonderen Vertrag, des Gebrauchs eines Theils derselben      
  31 zu begeben.      
           
  32 Daß der Concubinat keines zu Recht beständigen Contracts      
  33 fähig sei, so wenig als die Verdingung einer Person zum einmaligen      
  34 Genuß ( pactum fornicationis ), folgt aus dem obigen Grunde. Denn      
           
     

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