Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 222 |
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| 01 | jederzeit a posteriori und vermittelst der Erfahrung selbst erkannt werden | ||||||
| 02 | kann. Zwar haben wir in der Kritik der praktischen Vernunft wirklich das | ||||||
| 03 | Gefühl der Achtung (als eine besondere und eigenthümliche Modification | ||||||
| 04 | dieses Gefühls, welches weder mit der Lust noch Unlust, die wir von empirischen | ||||||
| 05 | Gegenständen bekommen, recht übereintreffen will) von allgemeinen | ||||||
| 06 | sittlichen Begriffen a priori abgeleitet. Aber wir konnten dort auch | ||||||
| 07 | die Gränzen der Erfahrung überschreiten und eine Causalität, die auf einer | ||||||
| 08 | übersinnlichen Beschaffenheit des Subjects beruhte, nämlich die der Freiheit, | ||||||
| 09 | herbei rufen. Allein selbst da leiteten wir eigentlich nicht dieses Gefühl | ||||||
| 10 | von der Idee des sittlichen als Ursache her, sondern bloß die Willensbestimmung | ||||||
| 11 | wurde davon abgeleitet. Der Gemüthszustand aber eines | ||||||
| 12 | irgend wodurch bestimmten Willens ist an sich schon ein Gefühl der Lust | ||||||
| 13 | und mit ihm identisch, folgt also nicht als Wirkung daraus: welches letztere | ||||||
| 14 | nur angenommen werden müßte, wenn der Begriff des Sittlichen als eines | ||||||
| 15 | Guts vor der Willensbestimmung durch das Gesetz vorherginge; da alsdann | ||||||
| 16 | die Lust, die mit dem Begriffe verbunden wäre, aus diesem als einer | ||||||
| 17 | bloßen Erkenntniß vergeblich würde abgeleitet werden. | ||||||
| 18 | Nun ist es auf ähnliche Weise mit der Lust im ästhetischen Urtheile | ||||||
| 19 | bewandt: nur daß sie hier bloß contemplativ, und ohne ein Interesse am | ||||||
| 20 | Object zu bewirken, im moralischen Urtheil hingegen praktisch ist. Das | ||||||
| 21 | Bewußtsein der bloß formalen Zweckmäßigkeit im Spiele der Erkenntnißkräfte | ||||||
| 22 | des Subjects bei einer Vorstellung, wodurch ein Gegenstand gegeben | ||||||
| 23 | wird, ist die Lust selbst, weil es einen Bestimmungsgrund der Thätigkeit | ||||||
| 24 | des Subjects in Ansehung der Belebung der Erkenntnißkräfte desselben, | ||||||
| 25 | also eine innere Causalität (welche zweckmäßig ist) in Ansehung der Erkenntniß | ||||||
| 26 | überhaupt, aber ohne auf eine bestimmte Erkenntniß eingeschränkt | ||||||
| 27 | zu sein, mithin eine bloße Form der subjectiven Zweckmäßigkeit einer Vorstellung, | ||||||
| 28 | in einem ästhetischen Urtheile enthält. Diese Lust ist auch auf | ||||||
| 29 | keinerlei Weise praktisch, weder wie die aus dem pathologischen Grunde | ||||||
| 30 | der Annehmlichkeit, noch die aus dem intellectuellen des vorgestellten | ||||||
| 31 | Guten. Sie hat aber doch Causalität in sich, nämlich den Zustand der | ||||||
| 32 | Vorstellung selbst und die Beschäftigung der Erkenntnißkräfte ohne weitere | ||||||
| 33 | Absicht zu erhalten. Wir weilen bei der Betrachtung des Schönen, | ||||||
| 34 | weil diese Betrachtung sich selbst stärkt und reproducirt: welches derjenigen | ||||||
| 35 | Verweilung analogisch (aber doch mit ihr nicht einerlei) ist, da ein Reiz | ||||||
| 36 | in der Vorstellung des Gegenstandes die Aufmerksamkeit wiederholentlich | ||||||
| 37 | erweckt, wobei das Gemüth passiv ist. | ||||||
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