Kant: AA IV, Grundlegung zur Metaphysik der ... , Seite 394

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 innern unbedingten Werth, sondern setzen immer noch einen guten      
  02 Willen voraus, der die Hochschätzung, die man übrigens mit Recht für sie      
  03 trägt, einschränkt und es nicht erlaubt, sie für schlechthin gut zu halten.      
  04 Mäßigung in Affecten und Leidenschaften, Selbstbeherrschung und nüchterne      
  05 Überlegung sind nicht allein in vielerlei Absicht gut, sondern scheinen      
  06 sogar einen Theil vom innern Werthe der Person auszumachen; allein      
  07 es fehlt viel daran, um sie ohne Einschränkung für gut zu erklären (so unbedingt      
  08 sie auch von den Alten gepriesen worden). Denn ohne Grundsätze      
  09 eines guten Willens können sie höchst böse werden, und das kalte Blut      
  10 eines Bösewichts macht ihn nicht allein weit gefährlicher, sondern auch unmittelbar      
  11 in unsern Augen noch verabscheuungswürdiger, als er ohne dieses      
  12 dafür würde gehalten werden.      
           
  13 Der gute Wille ist nicht durch das, was er bewirkt oder ausrichtet,      
  14 nicht durch seine Tauglichkeit zu Erreichung irgend eines vorgesetzten      
  15 Zweckes, sondern allein durch das Wollen, d. i. an sich, gut und, für sich      
  16 selbst betrachtet, ohne Vergleich weit höher zu schätzen als alles, was durch      
  17 ihn zu Gunsten irgend einer Neigung, ja wenn man will, der Summe      
  18 aller Neigungen nur immer zu Stande gebracht werden könnte. Wenn      
  19 gleich durch eine besondere Ungunst des Schicksals, oder durch kärgliche      
  20 Ausstattung einer stiefmütterlichen Natur es diesem Willen gänzlich an      
  21 Vermögen fehlte, seine Absicht durchzusetzen; wenn bei seiner größten Bestrebung      
  22 dennoch nichts von ihm ausgerichtet würde, und nur der gute      
  23 Wille (freilich nicht etwa als ein bloßer Wunsch, sondern als die Aufbietung      
  24 aller Mittel, so weit sie in unserer Gewalt sind) übrig bliebe: so      
  25 würde er wie ein Juwel doch für sich selbst glänzen, als etwas, das seinen      
  26 vollen Werth in sich selbst hat. Die Nützlichkeit oder Fruchtlosigkeit kann      
  27 diesem Werthe weder etwas zusetzen, noch abnehmen. Sie würde gleichsam      
  28 nur die Einfassung sein, um ihn im gemeinen Verkehr besser handhaben      
  29 zu können, oder die Aufmerksamkeit derer, die noch nicht gnug Kenner      
  30 sind, auf sich zu ziehen, nicht aber um ihn Kennern zu empfehlen und      
  31 seinen Werth zu bestimmen.      
           
  32 Es liegt gleichwohl in dieser Idee von dem absoluten Werthe des      
  33 bloßen Willens, ohne einigen Nutzen bei Schätzung desselben in Anschlag      
  34 zu bringen, etwas so Befremdliches, daß unerachtet aller Einstimmung      
  35 selbst der gemeinen Vernunft mit derselben dennoch ein Verdacht entspringen      
  36 muß, daß vielleicht bloß hochfliegende Phantasterei ingeheim zum      
  37 Grunde liege, und die Natur in ihrer Absicht, warum sie unserm Willen      
           
     

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