Kant: AA I, Allgemeine Naturgeschichte und ... , Seite 338  | 
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| 01 | diese Regel bei den unmittelbaren Werken des allmächtigen Willens | ||||||
| 02 | vollkommen zu spüren sein, und diese würden alle Vollkommenheit der | ||||||
| 03 | geometrischen Genauheit an sich zeigen. Die Kometen gehören mit | ||||||
| 04 | unter diese Mängel der Natur. Man kann nicht leugnen, daß in Ansehung | ||||||
| 05 | ihres Laufes und der Veränderungen, die sie dadurch erleiden, | ||||||
| 06 | sie als unvollkommene Glieder der Schöpfung anzusehen seien, welche | ||||||
| 07 | weder dienen können, vernünftigen Wesen bequeme Wohnplätze abzugeben, | ||||||
| 08 | noch dem Besten des ganzen Systems dadurch nützlich zu werden, | ||||||
| 09 | daß sie, wie man vermuthet hat, der Sonne dereinst zur Nahrung | ||||||
| 10 | dienten; denn es ist gewiß, daß die meisten derselben diesen Zweck | ||||||
| 11 | nicht eher, als bei dem Umsturze des ganzen planetischen Gebäudes | ||||||
| 12 | erreichen würden. In dem Lehrbegriffe von der unmittelbaren höchsten | ||||||
| 13 | Anordnung der Welt ohne eine natürliche Entwickelung aus allgemeinen | ||||||
| 14 | Naturgesetzen würde eine solche Anmerkung anstößig sein, ob sie gleich | ||||||
| 15 | gewiß ist. Allein in einer mechanischen Erklärungsart verherrlicht sich | ||||||
| 16 | dadurch die Schönheit der Welt und die Offenbarung der Allmacht | ||||||
| 17 | nicht wenig. Die Natur, indem sie alle mögliche Stufen der Mannigfaltigkeit | ||||||
| 18 | in sich faßt, erstreckt ihren Umfang über alle Gattungen von | ||||||
| 19 | der Vollkommenheit bis zum Nichts, und die Mängel selber sind ein | ||||||
| 20 | Zeichen des Überflusses, an welchem ihr Inbegriff unerschöpft ist. | ||||||
| 21 | Es ist zu glauben, daß die angeführten Analogien so viel über | ||||||
| 22 | das Vorurtheil vermögen würden, den mechanischen Ursprung des | ||||||
| 23 | Weltgebäudes annehmungswürdig zu machen, wenn nicht noch gewisse | ||||||
| 24 | Gründe, die aus der Natur der Sache selber hergenommen sind, dieser | ||||||
| 25 | Lehrverfassung gänzlich zu widersprechen schienen. Der Himmelsraum | ||||||
| 26 | ist, wie schon mehrmals gedacht, leer, oder wenigstens mit unendlich | ||||||
| 27 | dünner Materie angefüllt, welche folglich kein Mittel hat abgeben | ||||||
| 28 | können, den Himmelskörpern gemeinschaftliche Bewegungen einzudrücken. | ||||||
| 29 | Diese Schwierigkeit ist so bedeutend und gültig, daß Newton, welcher | ||||||
| 30 | Ursache hatte, den Einsichten seiner Weltweisheit so viel als irgend | ||||||
| 31 | ein Sterblicher zu vertrauen, sich genöthigt sah, allhier die Hoffnung | ||||||
| 32 | aufzugeben, die Eindrückung der den Planeten beiwohnenden Schwungskräfte | ||||||
| 33 | unerachtet aller Übereinstimmung, welche auf einen mechanischen | ||||||
| 34 | Ursprung zeigte, durch die Gesetze der Natur und die Kräfte der | ||||||
| 35 | Materie aufzulösen. Ob es gleich für einen Philosophen eine betrübte | ||||||
| 36 | Entschließung ist, bei einer zusammengesetzten und noch weit von den | ||||||
| 37 | einfachen Grundgesetzen entfernten Beschaffenheit die Bemühung der | ||||||
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