Kant: AA I, Allgemeine Naturgeschichte und ... , Seite 337  | 
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| 01 | Noch mehr, als alle diese Analogien zeigt sich das deutlichste | ||||||
| 02 | Merkmaal von der Hand der Natur an dem Mangel der genauesten | ||||||
| 03 | Bestimmung in denjenigen Verhältnissen, die sie zu erreichen bestrebt | ||||||
| 04 | gewesen. Wenn es am besten wäre, daß die Planetenkreise beinahe | ||||||
| 05 | auf eine gemeinschaftliche Fläche gestellt wären, warum sind sie es | ||||||
| 06 | nicht ganz genau? Und warum ist ein Theil derjenigen Abweichung | ||||||
| 07 | übrig geblieben, welche hat vermieden werden sollen? Wenn darum | ||||||
| 08 | die der Laufbahne der Sonne nahen Planeten die der Attraction das | ||||||
| 09 | Gleichgewicht haltende Größe der Schwungskraft empfangen haben, | ||||||
| 10 | warum fehlt noch etwas an dieser völligen Gleichheit? und woher sind | ||||||
| 11 | ihre Umläufe nicht vollkommen zirkelrund, wenn bloß die weiseste Absicht, | ||||||
| 12 | durch das größte Vermögen unterstützt, diese Bestimmung hervorzubringen | ||||||
| 13 | getrachtet hat? Ist es nicht klar einzusehen, das diejenige | ||||||
| 14 | Ursache, welche die Laufbahnen der Himmelskörper gestellt hat, indem | ||||||
| 15 | sie selbige auf eine gemeinschaftliche Fläche zu bringen bestrebt gewesen, | ||||||
| 16 | es nicht völlig hat ausrichten können; ingleichen, daß die Kraft, | ||||||
| 17 | welche den Himmelsraum beherrschte, als alle Materie, die nunmehr | ||||||
| 18 | in Kugeln gebildet ist, ihre Umschwungsgeschwindigkeiten erhielt, sie | ||||||
| 19 | zwar nahe beim Mittelpunkte in ein Gleichgewicht mit der senkenden | ||||||
| 20 | Gewalt zu bringen getrachtet hat, aber die völlige Genauheit nicht hat | ||||||
| 21 | erreichen können? Ist nicht das gewöhnliche Verfahren der Natur hieran | ||||||
| 22 | zu erkennen, welches durch die Dazwischenkunft der verschiedenen Mitwirkungen | ||||||
| 23 | allemal von der ganz abgemessenen Bestimmung abweichend | ||||||
| 24 | gemacht wird? Und wird man wohl lediglich in den Endzwecken des | ||||||
| 25 | unmittelbar so gebietenden höchsten Willens die Gründe dieser Beschaffenheit | ||||||
| 26 | finden? Man kann, ohne eine Hartnäckigkeit zu bezeigen, | ||||||
| 27 | nicht in Abrede sein, daß die gepriesene Erklärungsart von den Natureigenschaften | ||||||
| 28 | durch Anführung ihres Nutzens Grund anzugeben hier | ||||||
| 29 | nicht die verhoffte Probe halte. Es war gewiß in Ansehung des | ||||||
| 30 | Nutzens der Welt ganz gleichgültig, ob die Planetenkreise völlig zirkelrund, | ||||||
| 31 | oder ob sie ein wenig excentrisch wären; ob sie mit der Fläche | ||||||
| 32 | ihrer allgemeinen Beziehung völlig zusammen treffen, oder noch etwas | ||||||
| 33 | davon abweichen sollten; vielmehr wenn es ja nöthig war, in dieser | ||||||
| 34 | Art von Übereinstimmungen beschränkt zu sein, so war es am besten, | ||||||
| 35 | sie völlig an sich zu haben. Wenn es wahr ist, was der Philosoph | ||||||
| 36 | sagte, daß Gott beständig die Geometrie ausübt; wenn dieses auch in | ||||||
| 37 | den Wegen der allgemeinen Naturgesetze hervor leuchtet: so würde gewiß | ||||||
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