Kant: Briefwechsel, Brief 844, Von Carl Wilhelm Cruse.

     
           
 

 

 

 

 

 
  Von Carl Wilhelm Cruse.      
           
  Vor d. 12. Sept. 1799.      
           
    In Ermangelung des datum zu diesem      
    Briefe merke ich nur an: daß er heute      
    den 12ten Septembr. 99 über Post an mich      
    eingegangen ist. I Kant.      
           
  Wohlgeborner      
  Hochzuverehrender HErr Professor!      
           
  Allerdings mögen Ew Wohlgebornen Sich wundern, daß ich erst      
  so spät, erst nachdem ich 4 Monate meinem neuen Amte vorgestanden      
  habe, die Pflicht erfülle, Ihnen und durch Sie den HErren Prof. Schulz      
  und Kraus für das Zeugnis zu danken, welches mir meine Stelle verschafft      
  hat. Ueberhäufte Geschäfte und die Besorgnis einem Manne      
  von Ihrem Geiste und Verdiensten nur gewöhnliche Danksagungen abzustatten,      
  hielten mich bisher zurük.      
           
  Der Wunsch eine mir so wichtige Pflicht nicht zu versäumen hat      
  endlich diese Besorgnis besiegt und mich vermocht einige Augenblicke      
  dazu zu stehlen. Doppelten Dank bin ich dem Manne schuldig, in      
  dessen Hörsaal und nachsichtsvollem Umgange ich denken lernte und      
  dem ich, ohne mit ihm die Tiefen des menschlichen Geistes durchforschen      
  zu können, wenigstens soweit zu folgen im Stande war, daß seine      
           
  Lehren in dem Studium des Faches wovon ich Profession mache, mir die      
  sicherste Leitung gewähren; der aber außer dem Verdienste um meine      
  Ausbildung, mir auch behülflich war, auf einen Standpunkt zu gelangen,      
  von welchem aus ich auf einen größern Kreis für die Menschheit      
  wirksam seyn kann.      
           
  Sehr oft habe ich Gelegenheit, mich zu erinnern und mich glücklich      
  zu schätzen, daß ich Ihre Lehren aus Ihrem Munde hörte. Zwar      
  gibt es der Freunde der Weisheit hier, wie überall nicht viele; indessen      
  habe ich doch an dem hiesigen Professor der Wohlredenheit HErrn      
  Sahlfeldt einen fleißigen, denkenden und tiefeindringenden Leser Ihrer      
  Werke gefunden. Er hat vorzüglich versucht, die Grundsätze der kritischen      
  Philosophie auf die Erfindung einer allgemeinen Theorie der Sprache      
  anzuwenden und äußert zuweilen den Wunsch seine Versuche, wenn er      
  dieselben sorgfältig geordnet und noch reiflicher durchdacht haben wird,      
  Ihrem Urtheil zu unterwerfen, ehe er dieselben dem großen Publikum      
  mittheilt. Ihre Humanität hat mich bewegt, HErrn Sahlfeldt hoffen      
  zu lassen, daß Sie diesen Beweis seines Zutrauens nicht für Zudringlichkeit,      
  sondern für das, was es wirklich ist, bescheidenes Mistrauen      
  in seine Kräfte ansehen werden und diese Aussicht stärkt und ermuntert      
  ihn bey der Fortsetzung seiner angefangenen Arbeit. Ob ich zuviel      
  habe hoffen lassen, darüber erwarte ich Ihre Entscheidung.      
           
  HErrn S's und einiger meiner andern Mitarbeiter Fleiß hat unser      
  Gymnasium, welches sonst kaum 10 Zöglinge zählte zu einer neuen      
  Blüte gebracht. Wir haben itzt deren 40 und darunter einige geist      
  und talenvolle Köpfe, welche großentheils das Verbot des Studierens      
  auf auswärtigen Universitäten sehr ungern ertragen und bey uns einigen      
  Ersatz suchen. Es thut mir wehe diese treflichen Iünglinge theils durch      
  den Mangel an litterärischen Hülfsmitteln, theils durch die zu geringe      
  Anzahl der Lehrer zurükgehalten zu sehen. Mit der neuen Universität      
  zu Dorpat ist die Sache noch ziemlich weit aussehend - Zwar kommt      
  in diesen Tagen die Einrichtungs Commission der 3 Ritterschaften zusammen,      
  allein es ist leichter eine Armee von 10000 Mann anzuwerben,      
  als eine gute Universität zu Stande zu bringen, zumal wenn      
  diese die Stelle mehrerer vortreflichen ersetzen soll. Man glaubte Anfangs,      
  unser Gymnasium würde aufgehoben werden, und den Professoren      
  wolle man Stellen in Dorpat anweisen, allein itzt ist es gewis,      
  daß es in seiner bisherigen Verfassung als Provincial Seminarium      
           
  bleiben wird - einzelne Lehrer möchten vielleicht einen Ruf      
  bekommen.      
           
  Sobald ich den Plan der neuen Universität erhalte, werde ich      
  mir die Erlaubnis nehmen, Ihnen denselben zu schicken. Es wird      
  Ihnen nicht gleichgültig seyn, zu sehen, wie man hier die öffentlichen      
  Unterrichts Anstalten behandelt.      
           
  Ich habe die Ehre mit der uneingeschränktesten Ehrerbietung zu seyn      
           
    E Wohlgebornen      
    ergebenster      
    CW Cruse.      
           
           
           
     

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