Kant: Briefwechsel, Brief 769, Von Friedrich Wilhelm Möller.

     
           
 

 

 

 

 

 
  Von Friedrich Wilhelm Möller.      
           
  2. Aug. 1797.      
           
  Wohlgebohrner Herr      
  Verehrungswürdigster Herr!      
           
  Wenn ich die Gelegenheit bey der Hinreise eines Landsmanns nach      
  Ihrer Handelsstadt benutze, um mich Ihnen gehorsamst zu empfehlen,      
  so thue ichs keinesweges aus der unlautern Absicht, wegen Ruhmbegierde,      
  um mich von Ihnen mit einem Gegenbrief gewürdiget zu sehen,      
  (wie bey jungen Schriftstellern gewöhnlich diese Triebfeder ins Spiel      
  kömt); sondern von einem innern Drang meines Herzens dazu gestimmt,      
  um Ihnen meine hochachtungsvollste Dankbarkeit an den Tag      
  zu legen. Wenn jener große Religionslehrer sagte: So ihr meine Belehrungen      
  befolget, so werdet ihr inne werden, ob meine Lehre von      
  Gott komt oder ob ich von mir selber rede; so wüßte ich diesen Ausspruch      
  nicht schöner als auf Ihr System der Weltweisheit, besonders      
  auf das von der Practischen Vernunft anzuwenden. Daß ich mich kurz      
  faße, ich fühlte mich durch Ihre Darstellungen des Moralprincips in der      
  Metaphysic der Sitten überzeugt, und durch dieselben bey einer sonderbaren      
  Durchkreutzung widriger Schicksaale, die auf meine äußerst empfängliche      
  Seele um so unangenehmer wirkten, beruhigt. Würde ich      
  also nicht für undankbar gelten, wenn ich Ihnen dieses verschwiege, da      
  auch dem aus den reinsten Absichten handelnden Manne, der nie auf      
  die Folgen seiner Handlungen, seinen Neigungen zum Frommen, Rücksicht      
  nimmt, es einen angenehmen Augenblick gewährt, wenn er eine      
  solche Erfahrung macht. Es wird Ihnen kein Zweifel übrig bleiben,      
  daß es diejenigen Haupt=Momente Ihres Systems waren, welche die      
  Moral vom Eudämonismus befreyten, und die Verehrer der Sittlichkeit      
  mit der Gottheit bey der Entziehung mancher dadurch erwarteten      
  sinnlichen Belohnungen aussöhnten. Auch ich erfuhr diese Beruhigung,      
           
  sobald ich durch Ihre Winke mich überzeugte, daß wir als Geist betrachtet      
  zwar frey wären, und dem Sittengesetz entsprechend handeln      
  könnten u. sollten, daß wir aber als Erscheinungen betrachtet, in so      
  fern wir mit andern Körpern in Verbindung ständen, ganz von den      
  Naturgesetzen der Körperwelt abhängig wären, die von unsern freyen      
  Handlungen, als Ursache und Wirkung unabhängig, einen ganz verschiedenen      
  Gang nähmen. Dieß wäre also das, warum ich Ihnen      
  meine hochachtungsvollste Dankbarkeit darzubringen mich verpflichtet      
  hielt. Ich unterstehe mich noch eine meiner Lieblings =Ideen Ihrer      
  gewiegten Beurtheilung vorzulegen:      
           
  Ihre wichtige Entdeckung, daß der Glaube an Gott und an Unsterblichkeit      
  einzig und allein aus der Moralität unsrer Handlungen entspringen      
  könne, und daß die Lebendigkeit dieses Glaubens sich nach der      
  Reinheit unsrer Tugend sich erhebe, hat mich zu der Untersuchung geführt,      
  ob wohl im Bewußtseyn Grade sich denken ließen, und ob der      
  Grund von der Lebhaftigkeit deßelben nicht bloß in der Beschaffenheit      
  der Organisation, und dem Spiel der Fibern liege, sondern im Vorstellungsvermögen      
  selbst aufgesucht werden müßte. Da Sie die Vorstellungen      
  von den Größen und Zeit u. Raum als Anschauungen      
  a priori annehmen; so glaube ich ein Merkmal jener Grade des Bewußtseyns      
  in der Möglichkeit entdeckt zu haben, eine reine Größe sich      
  mehr protensiv oder extensiv zu denken. An diese Möglichkeit des      
  Zunehmens der Grade des Bewußtseyns, das eine Anwendung auf      
  alle Categorien leidet, schließt sich nur die große auf das practische      
  Leben einen so wichtigen Einfluß habende Frage an: Ob die Acte      
  unsrer sittlichen Freyheit vielleicht mit dem Steigen der Grade des      
  Bewußtseyns in Verbindung stehen? folglich ob durch unsern freyen      
  Willen, wenn er dem Ideal der Heiligkeit imer näher kömt, nicht unsre      
  Seelenkräfte erhöht werden können. Vielleicht ließen sich dan alle die      
  Instanzen, wo man oft in den leidenschaftlichsten Menschen die hellsten      
  Einsichten, und größten Übersichten der Verhältniße zu finden meynte      
  dadurch heben, daß die Stufe der freywilligen Thätigkeit, nach welcher      
  der Handelnde nach dem Sittengesetz seine Maxime nähme uns unbekannt      
  sey.      
           
  wie sehr diese Einrichtung der menschlichen Seele den Schöpfer      
  und seine Weisheit als Weltregierer bey seinen Naturgesetzen verherrlichen      
  würde dieß leidet keinen Zweifel. Ohne seine Zwischenvermittlung      
           
  zu häufen, weil ein gewißer Grad von Moralität eine gewiße      
  Stufe der Erkentnis nur möglich machte, würde die erträglichste Leitung      
  der menschlichen Schicksaale durch die Vermittlung freier Handlungen      
  der Menschen sich von selbst ergeben. Doch ich wage es nicht einem      
  der scharfsinnigsten Weltweisen nur noch ein Jota hinzuzusetzen. Sollten      
  Sie einen Lebenskeim von Philosophiren in mir entdecken, so werden      
  Sie so gewogen seyn und mich dazu aufzumuntern.      
           
  Zum Beweis meiner höchsten unumschränkten Verehrung lege ich      
  eine kleine von mir verfertigte Volksschrift bey und empfehle mich      
  Ihnen nebst meinem Bruder, der ein eben so großer Verehrer Ihres      
           
  Scharfsinns ist als: Ew. Wohlgebohren      
    ganz gehorsamen      
  Gotha den 2 Aug. Diener      
  1797. Friedrich Wilhelm      
    Möller      
    Pfarrer zu Volkenroda      
           
           
           
     

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