Kant: Briefwechsel, Brief 756, Von Iacob Sigismund Beck.

     
           
 

 

 

 

 

 
  Von Iacob Sigismund Beck.      
           
  Halle den 24ten Iuny 1797.      
           
  Hochachtungswürdiger Mann,      
           
  Als ich schon meinen, verlaufenen 20ten an Sie gerichteten Brief      
  auf die Post gebracht hatte, nahm ich den Ihrigen noch einmahl in      
  die Hände. Indem ich nun bey dem Anfange desselben, und bey einigem      
  was Herr Hofprediger Schulz mich sagen läst, etwas verweilte,      
  wurde mir die eigentliche Veranlassung sowohl zu Ihrem Briefe, als      
  auch zu dem Unwillen dieses würdigen Mannes etwas begreiflicher,      
  und da ich nun die Sache in einem etwas andern Lichte ansah, faßte      
  ich den Entschluß, mit der heutigen Post noch dasjenige nachzuhohlen,      
  was mir jetzt noch nöthig scheint, Ihnen zu sagen.      
           
  Sie geben nämlich die Veranlassung zu Ihrem Briefe mit den      
  Worten an: daß er die schnelle und öffentliche Beylegung der Mishelligkeit      
  critischer Principien vom obersten Rang betreffe. Aus diesem      
  nun, und aus den Bemerkungen des Herrn Hofprediger, da er mich      
  z. B. sagen läst: "Realität ist die ursprüngliche Synthesis des Gleichartigen      
  der Empfindung, die vom Ganzen zu den Theilen geht (wobey      
  wahrscheinlich Sie es sind der mich, und zwar mit allem Recht      
  frägt: "Was hier Empfindung bedeuten mag, wenn es keine Sinnlichkeit      
  giebt, sehe ich nicht wohl ein." Gewiß, vortreflicher Mann,      
           
  wenn mir so etwas jemals in den Sinn gekommen wäre, müßte ich      
  dieses Unsinns wegen mich selbst anfeinden); daß der Verstand die      
  Objecte erzeugt," schließe ich, daß Sie mit Herrn Schultz über das      
  sonderbare Zeug des Herrn Fichte sich unterhalten haben müssen, indem      
  mir diese Ausdrücke gänzlich Fichtisch klingen. Hierauf kann ich      
  nun nicht anders, als noch Folgendes erinnern und einen Vorschlag      
  thun, der mir durch den Kopf geht.      
           
  Ich versichere Sie, sowahr ich ein ehrlicher Mann bin, daß ich      
  unendlich weit, von diesem Fichtischen Unsinn mich entfernt befinde.      
  Ich hielt es blos vor nöthig, auf die Ansicht der Categorien, als eines      
  ursprünglichen Verstandesverfahrens, wohin ihre ganze Deduction, als      
  Beantwortung der Frage: wie sind sie auf Erscheinungen anwendbar,      
  gerichtet ist, die Augen der philosophirenden Männer zu lenken, weil      
  ich mich versichert hielt, daß ihre Mishelligkeiten verschwinden müßten,      
  wenn sie das träfen, daß der Verstand nichts objectiv verknüpfen könnte,      
  was er nicht vorher ursprünglich verbunden hat. Wenn ich nun allerdings      
  sage, daß die Categorie Realität die Synthesis der Empfindung      
  ist, die vom Ganzen zu den Theilen (durch Remission) geht, so kann      
  doch vernünftigerweise meine Meynung keine andere seyn, als daß die      
  Sachheit eines Dinges, (das Reale der Erscheinung die mich afficirt,      
  und diese Empfindung in mir hervorbringt) allemahl eine Grösse (intensive)      
  ist, daß eben daher eine absolute Sachheit (die nämlich keine      
  Grösse wäre, wie nach Cartesii Meynung, daß die Materie durch ihre      
  blosse Existenz einen Raum erfüllt) nichts bedeutet. Dieses ursprüngliche      
  Verstandesverfahren in der Categorie Realität, fällt mit dem in      
  den Categorien der Existenz zusammen, vermöge dessen ich eben aus mir      
  selbst herausgehe, und sage: hier ist ein Object das mich afficirt; aber      
  der Transcendentalphilosoph muß diese verschiedene Seiten des Verstandes      
  von einander scheiden. Ich fand für nöthig, auf jede Categorie      
  besonders, das Auge des Lesers zu lenken. Wenn mich einer frägt:      
  "wenn du nun dich selbst in Gedanken aufhebst, dann hebst du ja      
  auch wohl alle Dinge ausser dir zugleich auf?" so werde ich doch nicht      
  verrückt seyn, solch dummes Zeug zu bejahen. Hebe ich mich in Gedanken      
  auf, so betrachte ich mich ja eben unter Zeitbedingungen, welchen      
  Ablauf der Zeit ich mir selbst nur am Beharrlichen vorstellen      
  kann. Absehen von diesem ursprünglichen Verstandesverfahren, ist      
  doch nicht mit Aufheben meiner Selbst einerley. Ia wohl, werde      
           
  ich sagen, wenn ich von der ursprünglichen Synthesis, der ich mir im      
  Ziehen einer Linie bewußt bin, wegsehe, dann vergeht mir freylich      
  aller Sinn von extensiver Grösse, die ich einem Object beylege, weshalb      
  eben das Object meiner Vorstellung, Erscheinung und nicht Ding      
  an sich heißt. Gewiß, vortreflicher Mann, wenn Sie mir die Ehre      
  erweisen, und ein wenig nur selbst auf diese meine Methode von dem      
  Standpunct der Categorien abwärts zu gehen, so wie Sie in Ihrem      
  unsterblichen Werk aufwärts gehen, aufmerksam seyn wollten, so würden      
  Sie die Thunlichkeit derselben bemerken. Man muß nur innig mit      
  dem ganzen Gegenstand vertraut seyn, so kann man besonders im Lehrvortrage,      
  mit vieler Leichtigkeit, mit den wahren critischen Principien,      
  jeden der Interesse und etwas Talent hat, auf diesem Wege bekannt      
  machen. Herr Hofprediger Schultz, den ich immer sehr liebe, seine      
  Kenntnisse achte und seiner Redlichkeit wegen hochschätze, hat mich wirklich      
  nicht gut vernommen und ich bin betrübt, daß der biedere Mann      
  im Stande ist, mich solcher unsinnigen Behauptungen, wie die ist,      
  daß der Verstand das Ding macht, fähig zu glauben, deren er mich      
  wohl nicht fähig hielt, als er mich als seinen aufmerksamen Schüler      
  in der Mathematik lieb hatte.      
           
  Aber ich weiß es, daß Herr Fichte, der, wie es scheint, Anhänger      
  sucht, von mir sagt, daß ich mit ihm mich auf einerley Weg befinde,      
  so sehr ich auch in einer Recension in Herrn Iakobs Annalen, ja auch      
  in meinem Standpunct das Gegentheil gesagt habe. Da ich ihn in      
  Iena verlaufene Osterferien besuchte, so wollte er mich wirklich auf      
  diese Art berücken. Ein Gespräch mit mir fing er wirklich damit an:      
  "Ich weiß es, Sie sind meiner Meynung, daß der Verstand das Ding      
  macht." - Er sagte mir manche närrische Sachen und vieleicht ist er      
  noch, da ich meinen Mann bald durchsah, von niemanden durch freundliche      
  Antworten so verlegen gemacht worden als durch mich. Was ich      
  nun noch sagen will ist Folgendes. Fichte sagte mir, daß er in seinem      
  neuen Iournal, worin er seine Wissenschaftslehre neu bearbeitet      
  hat, und unter andern nur eine Philosophie und keinen Unterschied      
  zwischen theoretischer und Moralphilosophie annimmt, weil überall der      
  Verstand, durch seine absolute Freyheit die Dinge setzt (ein dummes      
  Zeug! wer so reden kann, kann wohl niemals die critischenPrincipien      
  beherzigt haben) und daß er darin viel von meinem Standpunct spreche.      
  Ich habe nun wohl diese Sachen noch nicht in den Händen gehabt, aber      
           
  ich bin vorher versichert, daraus ganz leicht eine Veranlassung nehmen      
  zu können, mich etwa in Iakobs Annalen zu erklären, daß erstens      
  meine Meynung gar nicht mit der seinigen zusammenstimme, daß ich      
  zweytens glaube die Critik richtig exponirt zu haben, und daher      
  von ihrem Sinn nicht abzuweichen glaube, weil mir nichts so angelegentlich      
  ist, als Sinnlichkeit (das Vermögen von Gegenständen afficirt      
  zu werden) vom Verstande (das Vermögen sie zu denken, dieses Subjective      
  auf Objecte zu beziehen) zu unterscheiden, daß aber drittens,      
  ich durch das zweyte gar nicht gesonnen bin, den Stifter der critischen      
  Philosophie im Geringsten zu compromittiren indem der Standpunct      
  gänzlich meine eigene Idee ist, und ja, da Ihre Werke am Tage      
  liegen, jedermann mit eigenen Augen vergleichen und ein eigenes Urtheil      
  haben kann. Den Fichte selbst will ich mir wohl nicht auf den      
  Hals laden, und werde daher ganz glimpflich, was ihn betrift, sprechen.      
  Aber in Ansehung des zweyten Puncts will ich mich umständlich auslassen,      
  und das berichtigen, was fehlerhaft von mir im Standpunct      
  ist gesagt worden. Geben Sie hierzu Ihre Beystimmung? Ehe ich      
  diese erhalte, möchte ich nicht gern was thun. Nur auf mich, Hochachtungswürdiger      
  Mann, lenken Sie keinen Unwillen. Ich finde meinen      
  Beruf in wissenschaftlichen Arbeiten, und wie müßte, bey dieser      
  Abgezogenheit, mir der Gedanke wehe thun, in Ihren Augen gesunken      
  zu seyn.      
           
    Der Ihrige      
    Beck.      
           
           
           
     

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