Kant: Briefwechsel, Brief 724, Von Friedrich August Hahnrieder.

     
           
 

 

 

 

 

 
  Von Friedrich August Hahnrieder.      
           
  3. Dec. 1796.      
           
  Achtungswürdiger Mann!      
           
  Kiesewetter hat mir die Stelle Ihres Schreibens an ihn, wo Sie      
  meiner erwähnen vorgelesen; mit dem größesten Vergnügen nahm ich      
  wahr, daß ich Ihnen nicht gleichgültig bin, Sie fordern mich sogar      
  auf Ihnen zu schreiben, ich versäume daher keine Zeit, Ihrem      
  Verlangen Gnüge zu leisten, gerne hätte ich schon mehrmalen, seit meinem      
  ersten Briefe, den Sie durch HE Nikolovius werden erhalten haben,      
  geschrieben, allein ich fürchtete durch meine Zudringlichkeit einem      
  Manne lästig zu werden den ich von ganzer Seele hochschäzze, und      
  deswegen alle Gelegenheit sorgfältig vermeiden wollte beschwerlich zu      
  fallen. Sie muntern mich auf, bey meinem einmal gefaßten Vorsazze      
  zu bleiben und nicht zu wanken, nein, edler Mann! ich wanke      
  nicht, Himmel und Erde mögen vergehen, mein Körper in seine      
  Elemente aufgelöset werden, aber mein Vernunft läßt sich nicht erschüttern,      
           
  ein einmal gefaßter in der Vernunft gegründeter Entschluß      
  muß durchgesezt werden, es koste was es wolle; Sittlichkeit ist keine      
  Chimäre, das haben Sie bewiesen, ich bin davon überzeugt und fest entschloßen      
  nach Uberzeugung zu handeln, an Kräften fehlt's mir nicht, ich      
  habe Muth gehabt allen Gefahren und Widerwärtigkeiten die mir in Rußland      
  droheten zu trozzen, ich zagte nicht auf der unwegsamen Bahn, die      
  mir Pflicht vorzeichnete, fortzuwandeln, und izt sollte ich wanken, izt      
  sollte ich meinen Muth sinken laßen, da ich doch bei weitem mit      
  weniger Widerwärtigkeiten zu kämpfen habe? Zwar verlaßen mich      
  meine Eltern, meine Freunde sind unzufrieden mit mir, und es thut      
  mir weh; es ist ein harter Kampf den ich zu kämpfen habe, aber es      
  sey, ich will ihn kämpfen, ich will tugendhaft seyn, und soll es seyn,      
  dieses Gesez giebt mir meine Vernunft, und die Neigungen sie mögen      
  so laut rufen als sie immerhin wollen, müßen am Ende verstummen.      
       
           
  Da Sie mir doch einmal die Erlaubniß gegeben haben zu schreiben,      
  so will ich Ihnen von allem was auf mich Beziehung hat Nachricht      
  ertheilen. Mit dem Hobeln und Sägen geht's gut, ich habe darin      
  ziemliche Progreßen gemacht, verschiedene Stükke habe ich bereits verfertigt,      
  die schon Liebhaber gefunden und gekauft worden, ich hoffe,      
  daß ich während den drittehalb Iahren, die zu meiner Lehrzeit bestimmt      
  worden, es dahin bringen werde, daß ich als ein geschikter      
  Geselle mein Brod werde verdienen können; meine körperlichen Kräfte      
  nehmen zu und ich habe die frohe Aussicht eine dauerhafte Gesundheit      
  zu genießen vor mir. Verschiedene Bekanntschaften habe ich hier gemacht      
  zum Theil mit Männern die diesem Ehrennamen keine Schande      
  machen; der Geheimrath Schulz der bey Ihnen gewesen, und ein gewißer      
  Profeßor Feßler intereßiren mich am mehresten, ersterer scheint      
  mir ein sehr redlicher Mann zu seyn, er hat mir Unterstüzzung angeboten,      
  wovon ich bisher noch keinen Gebrauch gemacht, weil ich      
  glaube daß man sich lieber kümmerlich behelfen muß als andern zur      
  Last zu fallen; lezterer ist ein Mann durch deßen Umgang mein sittlicher      
  Charakter mehr und mehr ausgebildet wird, sein Beispiel ist      
  mir eine heilsame Lehre, daß Widerwärtigkeiten nie einen für die      
  Sittlichkeit nachtheiligen Einfluß auf unsere Handlungen haben müßen;      
  dieser Mann war ehedem beim Fürsten zu Carolath engagirt, sein      
  Engagement hatte ein Ende, da der Fürst bankrott wurde, izt lebt      
           
  er hier und wird nicht angestellt, sich seiner Würde bewußt, verachtet      
  er alle die Schleichwege, die ihn zu einem Posten führen könnten, er      
  leidet lieber alles Ungemach, welches seine brave Frau gerne mit ihm      
  theilet, und schränkt sich so sehr ein als möglich, um nur nicht nach      
  Maximen handeln zu dürfen, die mit der Sittlichkeit im Widerspruch      
  stehen.      
           
  Was mich als Staatsbürger betrift, so befolge ich treulich den      
  Vorschriften der Vernunft die Sie so vortreflich in der Abhandlung      
  "was in der Theorie richtig ist, gilt nicht für die Praxis", aus einander      
  gesezt haben. Sie haben nichts zu befürchten, daß ich vielleicht      
  durch Misverstehen auf Abwege gerathen könnte, ich habe kein      
  Talent zu tiefsinnigen Spekulationen, aber Einsicht genug um Warheiten,      
  die aufs Praktische Beziehung haben, nicht zu verfehlen, mit      
  Ungeduld warte ich auf die Metaphisik des Rechts und die Tugendlehre,      
  wo ich glaube über mehrere Gegenstände, die mir bisher dunkel      
  geblieben, Licht zu erhalten.      
           
  Madame Kampe hatte mir aufgetragen, Ihnen unbekannter      
  Weise ein Kompliment zu machen, welches ich auch in meinem ersten      
  Briefe bestellt. Kurz vor Ihrer Abreise haben wir in Gesellschaft      
  mehrerer Berliner Damen auf Ihre Gesundheit getrunken, ich habe es      
  der Gesellschaft versprochen, Ihnen davon Nachricht zu geben, und erfülle      
  nun mein Versprechen, auch Damen schäzzen den Weisen, der      
  ohne Menschenfurcht Lehren der Warheit verkündigt.      
           
  Herr la Garde behandelt mich in Rücksicht der Empfelungen die      
  Sie mir mitgegeben sehr freundschaftlich, er hat sich nach Ihrem Befinden      
  sehr genau erkundigt, und nimmt an allem was Sie betrift,      
  lebhaften Antheil.      
           
  Die Berliner im Ganzen sind mit meinem entworfnen Plane      
  zufrieden, ich werde von einigen unterstüzt; um diesen gutgesinnten      
  Menschen, so wenig als möglich, beschwerlich zu seyn, habe ich mich      
  auf fünf Thaler monathliche Ausgabe eingeschränkt, ich muß mich      
  freilich kümmerlich genug behelfen, indem ich damit Quartier, Eßen,      
  Wäsche und Licht besorge, indeßen beruhige ich mich, weil ich überzeugt      
  bin, daß die Bestimmung des Menschen nicht ist, beständig auf      
  Rosen zu tanzen.      
           
  Daß ein Schreiben von Ihnen mir äußerst angenehm seyn würde,      
  versichere ich Ihnen aufs feierlichste, Ihre Briefe, womit Sie mich      
           
  bisher beehrt haben, hebe ich als ein Heiligthum auf, indem eine einzige      
  Zeile von der Hand eines so rechtschaffenen Mannes bei mir      
  einen unendlichen Werth hat. Sollten Sie mich mit einem Schreiben      
  beehren, so würde Kiesewetter, bei dem ich Sonntags Vorlesungen      
  über die phisische Geographie höre, mir solches einhändigen.      
           
  Inliegenden Brief bitte ich, Herrn Hofprediger Schulz abgeben      
  zu laßen. Mit der innigsten Verehrung bin ich      
           
    Ihr      
    ganz ergebner Freund      
    und Diener      
  Berlin den 3ten Deembr Hahnrieder      
  1796.        
           
           
           
     

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