Kant: Briefwechsel, Brief 714, Von Iohann Gottfried Carl Christian Kiesewetter. |
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| Von Iohann Gottfried Carl Christian Kiesewetter. | |||||||
| Berlin den 23ten September 1796. | |||||||
| Theuerster Lehrer und Freund, | |||||||
| Da HErr Doktor Friedländer, der morgen von hier nach Königsberg | |||||||
| abreist, die Güte haben will, einen Brief von mir an Sie mitzunehmen, | |||||||
| so kann ich mir unmöglich länger das Vergnügen entsagen | |||||||
| an Sie zu schreiben. Es war mein fester Plan in diesem Iahre | |||||||
| nach Königsberg zu kommen und Sie zu besuchen aber leider haben | |||||||
| eine Menge unvorhergesehener Zufälle mich gehindert, diesen meinen | |||||||
| Lieblingsplan auszuführen, allein ich hoffe mit Gewisheit Sie im | |||||||
| künftigen Iahre zu sehen. | |||||||
| Herr Hahnrieder, den Sie die Güte hatten, mir zu empfehlen, | |||||||
| hat seinen Vorsatz ausgeführt, er ist bei einem geschickten Tischler in | |||||||
| die Lehre gegangen. Seine Lehrzeit ist auf 2 1/2 Iahr bestimmt, er | |||||||
| muß 50 rthlr. Lehrgeld geben und für Wohnung, Kleidung und Kost | |||||||
| selbst sorgen. Wir haben daher eine kleine Gesellschaft von Männern zusammen | |||||||
| gebracht, von denen es jeder verdient, einen redlichen Mann | |||||||
| zu unterstützen und sorgen so durch monatliche Beiträge für seinen | |||||||
| Unterhalt; der Buchhändler Viehweg, ein Schwiegersohn vom HErrn | |||||||
| Rath Campe, giebt ihm freie Wohnung, Holz und Licht, und auch | |||||||
| den Abendtisch; und wenn die Zeit kommen wird, daß er sein Lehrgeld | |||||||
| zahlen soll, so werden wir auch dann Rath schaffen. HErrn | |||||||
| Hahnrieder hatte seine Lebensbeschreibung aufgesetzt und glaubte durch | |||||||
| den Druck derselben so viel Honorar zu erhalten, daß er sein Lehrgeld | |||||||
| damit abtragen könnte; allein ich habe ihm gerathen die Schrift | |||||||
| nicht drucken zu laßen, theils weil ich fürchte, sie möchte, wenigstens | |||||||
| in ihrer gegenwärtigen Form wenig Beifall erhalten, theils weil die | |||||||
| Charakteristik der darin vorkommenden Personen, die für diese eben | |||||||
| nicht vortheilhaft ist, ihm Ungelegenheiten zuziehen könnte. HErrn | |||||||
| Hahnrieder selbst habe ich in beinahe 14 Tagen nicht gesehen, ich | |||||||
| glaube aber, daß es ihm wohl geht. | |||||||
| Mit einem andern Manne den Sie kennen, habe ich weniger | |||||||
| Glück gehabt. Dies ist ein gewißer Rellé, der wie er mir sagte, | |||||||
| ehedem in Königsberg in der lateinischen Sprache Unterricht ertheilt | |||||||
| hatte und der wie ein anderer Ulysses nach langem Umherirren endlich | |||||||
| in den traurigsten Umständen hier ankam. Er wandte sich an | |||||||
| mich und da er Sie kannte und recht feine Kenntniße in der | |||||||
| classischen Latinität besaß, so nahm ich mich seiner an, verwandte | |||||||
| mich für ihn bei einem russischen Kaufmann der mein Zuhörer war | |||||||
| und entriß ihn so dem äußersten Elende; darauf verschafte ich ihm | |||||||
| Unterricht in der lateinischen Sprache, so daß er, wo nicht sein reichliches, | |||||||
| doch sein notdürftiges Auskommen hatte. Mit einem male | |||||||
| aber hat der alte Mann, ohne daß man die Ursach errathen kann, | |||||||
| Berlin verlaßen und ist Gott weiß wohin? gegangen. Da er eine | |||||||
| große Vorliebe für Königsberg bezeigte, so ist er vielleicht dorthin | |||||||
| gegangen und wenn dis der Fall wäre, so könnten Sie mir wohl | |||||||
| gütigst Nachricht von ihm ertheilen, denn da ich mich für ihn interessirt | |||||||
| habe, wünschte ich doch zu wissen, was aus ihm geworden | |||||||
| ist. Weil er so ganz heimlich weggegangen ist und es ihm doch | |||||||
| wohl ging, so ist es mir schon eingefallen, ob er nicht etwa durch die | |||||||
| Polizei weggeschaft sein möchte, denn so etwas trägt sich leider bei | |||||||
| uns wohl zu, aber ich habe auch nicht den geringsten Schein zur | |||||||
| Bestätigung dieses Verdachts auffinden können und - überdis war er | |||||||
| ein zu erklärter Aristokrat, als daß man hätte fürchten können, er | |||||||
| werde in die Hände der heiligen Hermandad fallen. | |||||||
| Sie erweisen mir die Freundschaft, sich nach meinem Sein und | |||||||
| meiner Lage zu erkundigen. Bis jetzt ist alles mit mir noch beim | |||||||
| Alten; ich habe den Unterricht noch bei der Prinzessin und den Prinzen | |||||||
| und lese Collegia; vergangenen Winter habe ich über meine Darstellung | |||||||
| Ihres Systems, Logik und Aesthetik, und diesen Sommer Geometrie | |||||||
| gelesen; künftigen Winter denke ich Moral und mathematische und | |||||||
| physikalische Geographie zu lesen, und in der Michaelismesse erscheint | |||||||
| von mir eine Logik für Schulen, die ich Ihnen zu überschicken, die | |||||||
| Ehre haben werde. Da aber künftigen Mai die Prinzessin sich mit | |||||||
| dem Erbprinzen von Hessenkassel vermählt, wodurch ich 360 rthlr. | |||||||
| jährlicher Einkünfte verliehre, mir also für den Unterricht der Prinzen | |||||||
| nur 240rthlr. übrig bleiben, so muß ich darauf bedacht sein, meine | |||||||
| Lage zu ändern. Anfänglich war ich entschlossen, mir durch die | |||||||
| Prinzessin mein Gehalt als Pension vom König zu erbitten, eine | |||||||
| Bitte, die freilich nicht ungerecht sein würde, da ich 8 Iahr ihr | |||||||
| Unterricht ertheilt habe, allein ich habe nach reiferer Überlegung diesen | |||||||
| Plan fahren laßen, theils weil ich noch zu jung bin, um Pension zu | |||||||
| genießen, theils weil mir eine Pension nicht sicher genug scheint, da | |||||||
| man leicht einen Vorwand finden kann, weshalb ich nicht mehr | |||||||
| würdig wäre, die Pension zu genießen. Ich habe daher den Entschluß | |||||||
| gefaßt, mir vom Könige die Anwartschaft auf eine Stelle auszubitten, | |||||||
| die mich nährt, die mir aber doch auch die nöthige Zeit | |||||||
| übrig läßt, den Wissenschaften obzuliegen, und ich gehe jetzt damit | |||||||
| um, mir eine solche Stelle zu suchen, damit wenn der König diesen | |||||||
| Winter nach Berlin kömmt, die Prinzessin sich diese Stelle für mich | |||||||
| ausbitten kann. Da ich weiß, daß Sie an meinen Schicksalen Theil | |||||||
| nehmen, wofür ich Ihnen den herzlichsten Dank sage, so werde ich | |||||||
| Ihnen so bald mein Schicksal entschieden ist, Nachricht davon ertheilen. | |||||||
| Sollte der König, wider alles Vermuthen, meine Bitte abschlagen, so | |||||||
| werde ich Berlin verlaßen und mit einem reichen, vernünftigen Manne | |||||||
| eine Reise nach Frankreich, Italien, die Schweitz und vielleicht auch nach | |||||||
| England machen. | |||||||
| Reisende, die vor kurzem aus Königsberg kamen, haben mir | |||||||
| erfreuliche Nachrichten von Ihrem Wohlbefinden gegeben und Sie | |||||||
| werden es mir glauben, daß diese Nachrichten mich sehr froh gemacht | |||||||
| haben. Auch die Ankündigung eines Naturrechts von Ihnen hat mir | |||||||
| unglaubliche Freude gemacht und ich sehe der Erscheinung Ihres Werks | |||||||
| mit großem Verlangen entgegen; um so mehr, da dadurch eine | |||||||
| Menge von Streitigkeiten beigelegt werden wird. | |||||||
| Ich habe auch dafür gesorgt, daß Sie in diesem Iahre gute | |||||||
| Teltover Rüben erhalten, so bald ich sie bekomme, werde ich sie Ihnen | |||||||
| mit dem ersten abgehenden Frachtfuhrmann übersenden. | |||||||
| Und nun, mein theuerster Lehrer und Freund, leben Sie recht | |||||||
| wohl und ganz meinen Wünschen gemäß und schenken Sie mir einen | |||||||
| Theil der Liebe wieder, mit welcher Sie liebt und verehrt | |||||||
| Ihr | |||||||
| dankbarer Schüler | |||||||
| I. G. C. Kiesewetter. | |||||||
| N. S. Dürfte ich Sie bitten, dHE. Hofprediger Schulz, dHE Prof. | |||||||
| Gensichen, dHE. Doktor Iachmann u. dHE. Criminalrath | |||||||
| Stägemann mein bestes Compliment zu machen. | |||||||
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