Kant: Briefwechsel, Brief 572, An Abraham Gotthelf Kästner.

     
           
 

 

 

 

 

 
  An Abraham Gotthelf Kästner.      
           
  [Mai 1793.]      
           
  Nehmen Sie verehrungswürdiger Mann! meinen Dank für Ihren      
  aufgeweckten und belehrenden Brief gütigst an (den mir eine, dem durch      
  Göttingen durchreisenden Doct: Jachmann mitgegebene, Empfehlung      
  erwarb) zu dessen Bezeugung ich nicht eher eine schickliche Gelegenheit,      
  als die Ubersendung einer bis jetzt verspäteten Abhandlung, die hiemit      
  erfolgt, habe ausfinden können.      
           
  Die Gründlichkeit der Erinnerung, die Sie mir damals gaben,      
  die neugemoldete, in der Critik und ihren Grundzügen kaum vermeidliche,      
  rauhe Schulsprache gegen eine populäre zu vertauschen, oder      
  wenigstens mit ihr zu verbinden, habe ich oft, vornehmlich beyLesung      
  der Schriften meiner Gegner, lebhaft gefühlt; hauptsächlich den dadurch      
  unschuldigerweise veranlaßten Unfug der Nachbeter, mit Worten um      
  sich zu werfen, womit sie keinen, wenigstens nicht meinen Sinn verbinden;      
  zu dessen Verhütung ich die nächste Gelegenheit ergreifen werde,      
  die eine trockene Darstellung erfordert und mit jener Schulsprache die      
  gemeine zu verbinden Anlas giebt.      
           
  Was Sie vortreflicher Mann mir und jedermann bewundernswürdig      
  macht ist, daß Ihre in so viele Fächer, der Wissenschaften so      
  wohl als des Geschmacks, eingreifende, durch ihre Eigenthümlichkeit,      
  auch ohne Nahmensnennung, kennbare Schriften, noch immer den kraftvollen      
  Geist und die Leichtigkeit der Iugend athmen; wobey Sie denn      
  auch der Himmel bis in die Iahre eines Fontenelle, des Lieblings der      
  Musen, erhalten wolle, ohne welches das letztere für einen Gelehrten      
  auch kein sonderlich wünschenswerthes Glück seyn würde. Das erstere      
  scheint mir die Natur nicht beschieden zu haben, indem ich nach dem      
  Antritt meines 7Osten Iahres, ohne krank zu seyn, doch schon die Last      
           
  des Alter und die Beschwerlichkeit der Kopfarbeiten in demselben zu      
  fühlen anfange.      
           
  Mit der innigsten Verehrung bin ich jederzeit      
           
    Ew: Wohlgebohrnen      
    gehorsamster Diener      
    I Kant      
           
           
           
     

[ abgedruckt in : AA XI, Seite 427 ] [ Brief 571 ] [ Brief 573 ] [ Gesamtverzeichnis des Briefwechsels ]