Kant: Briefwechsel, Brief 536, An Rudolph Gottlob Rath.

     
           
 

 

 

 

 

 
  An Rudolph Gottlob Rath.      
           
  16. Oct. 1792.      
           
  Hochedelgebohrner Herr      
  Hochzuehrender Herr Magister.      
  Es ist längst mein Wunsch gewesen, daß sich jemand finden möchte,      
  der Sach= und Sprachkentnis gnug hätte und die Critik ins Lateinische      
           
  zu übertragen Belieben trüge. Ein gewisser Professor in Leipzig, ein      
  auf beyde Art geschickter Mann, hatte sich vor einigen Iahren von      
  selbst dazu verstanden; aber vermuthlich (wie der seel. Hartknoch dafür      
  hielt) wegen überhäufter anderer Beschäftigung, um seine schmale Einkünfte      
  zu ergänzen, es wieder liegen lassen. HE. Prof. Schütz in Jena,      
  dem dies Vorhaben damals comunicirt wurde, hielt dafür, daß von      
  seiner (des Leipziger Prof:) Feder, durch Geflissenheit der ächtlateinischen      
  Eleganz, wieder die Faßlichkeit leicht verstoßen werden könnte, und      
  wollte damals es übernehmen, die Übersetzung in dieser Rücksicht selbst      
  durchzugehen, welches denn durch obige Ursache zugleich unterblieben ist.      
           
  Aus der Probe, welche Sie die Güte gehabt haben Ihrem Briefe      
  beyzufügen, ersehe ich: daß Sie die letztere Schwierigkeit gar wohl      
  vermeiden und doch zugleich durch germanismen, wie es durch Deutsche      
  oft geschehen ist, den Auswärtigen nicht unverständlich seyn würde      
  und, wegen des zu treffenden Sinnes, setze ich in Ihre Einsicht, nach      
  einem so beharrlichen Studium, dessen Sie dieses Werk gewürdigt      
  haben, ebenso wohl völliges Vertrauen.      
           
  Fangen Sie also, Würdiger Mann diese Arbeit getrost an. Vielleicht      
  rückt sie mit der Bekanntschaft, die sich mit diesen Sachen durch      
  die Beschaftigung selbst hervorfinden wird, schneller, als Sie selbst      
  jetzt vermuthen, fort, so daß ich ihre Herausgabe noch erleben kan      
  Hiezu wünsche ich gute Gesundheit und sonst Gedeihen aller Ihrer      
  übrigen guten Absichten und bin mit der vollkommensten Hochachtung      
           
    Ew: Hochedelgebohren      
  Koenigsberg ergebenster Diener      
  den 16 Octobr I Kant      
  1792        
           
           
           
     

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