Kant: Briefwechsel, Brief 495, Von Georg Christoph Lichtenberg. |
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| Von Georg Christoph Lichtenberg. | |||||||
| 30. Oct. 1791. | |||||||
| Vergeben Sie, verehrungswürdiger Herr, einem armen, Nervenkranken, | |||||||
| daß er die Zuschrift eines Mannes, den er schon so lange | |||||||
| über alles schäzt, so spät beantwortet. Was mich bey dieser Schuld | |||||||
| immer, vor mir selbst wenigstens etwas rechtfertigt, wenn sie mich zu | |||||||
| hart zu drücken anfieng, war das Vertrauen auf die Freundschafft | |||||||
| unsers vortrefflichen Herrn Dr. Iachmanns, der Ihnen sowohl meine | |||||||
| seltsamen Umstände erklärt, als Sie auch von dem Enthusiasmus | |||||||
| überzeugt haben wird, womit ich Sie, theuerster Mann, verehre. Herrn | |||||||
| Dr. Iachmanns Schilderung von ersteren selbst etwas zuzusetzen hindern | |||||||
| mich eben diese Umstände selbst, etwa so wie beym Leßing dem Heldensänger | |||||||
| der Faulheit, die Heldin selbst bey der zweyten Zeile dem Sänger | |||||||
| den Mund stopft, und statt alles was ich über leztern sagen könte empfangen | |||||||
| Sie hier aus dem innersten meines Hertzens die Versicherung: | |||||||
| Daß es meine gantze Meinung von mir Selbst, nicht wenig erhöht hat, | |||||||
| daß ich Ihre Schrifften schon im Iahr 1767 mit einer Art von Prädilection | |||||||
| gelesen, und daß ich bey der Erscheinung Ihrer Critik, so bald | |||||||
| ich nur davon so viel gefasst hatte, um zu sehen, wo alles hinaus | |||||||
| wolte, gegen einige meiner Freunde schrifftlich und mündlich erklärt | |||||||
| habe: gebt acht, das Land, das uns das wahre System der | |||||||
| Welt gegeben hat, giebt uns noch das befriedigendste System | |||||||
| der Philosophie. Das waren meine Worte, ob ich gleich noch nicht | |||||||
| alles übersah, und mit diesen Gesinnungen schrieb ich auch jene im | |||||||
| Taschen Calender, die Ihnen zu Gesicht gekommen sind. Ich rechnete auf | |||||||
| diesen Umstand nicht, sondern schrieb sie, weil ich glaubte, sie Ihren großen | |||||||
| Talenten nach meiner Ueberzeugung schuldig zu seyn. So viel für jezt. | |||||||
| Da Herr Dietrich so eben ein Paquet nach Königsberg abschickt | |||||||
| so habe ich mir die Freyheit genommen ein Exemplar von meiner | |||||||
| neuen Auflage von Erxlebens Physik beyzulegen. Was ich in der | |||||||
| Vorrede darüber gesagt habe, ist im strengsten Verstande wahr. Ich | |||||||
| wünschte nun fast, daß ich dem Vorschlag des Verlegers gefolgt wäre, | |||||||
| die vorlezte Ausgabe ohne Veränderung, weil es an Exemplaren fehlte, | |||||||
| abdrucken zu lassen, denn ich finde nun fast täglich die traurigsten | |||||||
| Spuren der Eile und des Mismuthes. Einige Verbesserungen habe | |||||||
| ich auch noch hinter dem Register angezeigt. Zugleich erfolgen hierbey | |||||||
| zwey Exemplare des Taschen=Calenders, wovon ich das eine nach dessen | |||||||
| Addresse, nebst meiner gehorsamsten Empfehlung gütigst bestellen zu | |||||||
| lassen bitte. Sie werden diese heilige Christwaare mit den Augen | |||||||
| ansehen, mit denen man überhaupt Nürnberger Waare ansieht. Der | |||||||
| Goldschaum und die Farben und die unschuldige Absicht sind immer | |||||||
| das beste daran. Ich schreibe diese Blätter deswegen immer ununterbrochen | |||||||
| fort, weil ich damit meinen etwas schweren Haußzins bezahle, | |||||||
| und mein gütiger Wirth, der Verleger diese Müntze ohne sie zu wägen | |||||||
| oder selbst sie nur anzusehen, einsteckt, daher ich denn schlau genug | |||||||
| bin, immer etwas Rechenpfennige und Metallene Knöpfe mit darunter | |||||||
| zu mischen. S. 199 unten ist eine Stelle, die mich in einige Verlegenheit | |||||||
| gesezt hat: Im Mspt. stund Freunde der neuen Philosophie, | |||||||
| allein, als ich die Stelle im Druck laß, kam sie mir so beleidigend | |||||||
| für einige meiner besten Bekannte vor, und das so gantz wider meine | |||||||
| Absicht, daß ich um keine Parthey zu beleidigen und um kurtz abzukommen | |||||||
| Feinde sezte, da sie denn beyde wol mit mir eins seyn | |||||||
| werden. | |||||||
| Nun leben Sie recht wohl, Verehrungswürdiger Mann, und | |||||||
| nehmen Sie mich in Ihren Schutz, denn auch ich habe meine Feinde, | |||||||
| und seyn Sie versichert daß ich mit der größten Hochachtung und | |||||||
| Verehrung bin | |||||||
| Ihr | |||||||
| gehorsamster Diener | |||||||
| Göttingen d. 30ten Oct. 1791. | G. C. Lichtenberg. | ||||||
| [ abgedruckt in : AA XI, Seite 302 ] [ Brief 494 ] [ Brief 495a ] [ Gesamtverzeichnis des Briefwechsels ] |
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