Kant: AA XI, Briefwechsel 1791 , Seite 302

     
           
 

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    495.      
  02 Von Georg Christoph Lichtenberg.      
           
  03 30. Oct. 1791.      
           
  04 Vergeben Sie, verehrungswürdiger Herr, einem armen, Nervenkranken,      
  05 daß er die Zuschrift eines Mannes, den er schon so lange      
  06 über alles schäzt, so spät beantwortet. Was mich bey dieser Schuld      
  07 immer, vor mir selbst wenigstens etwas rechtfertigt, wenn sie mich zu      
  08 hart zu drücken anfieng, war das Vertrauen auf die Freundschafft      
  09 unsers vortrefflichen Herrn Dr. Iachmanns, der Ihnen sowohl meine      
  10 seltsamen Umstände erklärt, als Sie auch von dem Enthusiasmus      
  11 überzeugt haben wird, womit ich Sie, theuerster Mann, verehre. Herrn      
  12 Dr. Iachmanns Schilderung von ersteren selbst etwas zuzusetzen hindern      
  13 mich eben diese Umstände selbst, etwa so wie beym Leßing dem Heldensänger      
  14 der Faulheit, die Heldin selbst bey der zweyten Zeile dem Sänger      
  15 den Mund stopft, und statt alles was ich über leztern sagen könte empfangen      
  16 Sie hier aus dem innersten meines Hertzens die Versicherung:      
  17 Daß es meine gantze Meinung von mir Selbst, nicht wenig erhöht hat,      
  18 daß ich Ihre Schrifften schon im Iahr 1767 mit einer Art von Prädilection      
  19 gelesen, und daß ich bey der Erscheinung Ihrer Critik, so bald      
  20 ich nur davon so viel gefasst hatte, um zu sehen, wo alles hinaus      
  21 wolte, gegen einige meiner Freunde schrifftlich und mündlich erklärt      
  22 habe: gebt acht, das Land, das uns das wahre System der      
  23 Welt gegeben hat, giebt uns noch das befriedigendste System      
  24 der Philosophie. Das waren meine Worte, ob ich gleich noch nicht      
  25 alles übersah, und mit diesen Gesinnungen schrieb ich auch jene im      
  26 Taschen Calender, die Ihnen zu Gesicht gekommen sind. Ich rechnete auf      
  27 diesen Umstand nicht, sondern schrieb sie, weil ich glaubte, sie Ihren großen      
  28 Talenten nach meiner Ueberzeugung schuldig zu seyn. So viel für jezt.      
           
  29 Da Herr Dietrich so eben ein Paquet nach Königsberg abschickt      
  30 so habe ich mir die Freyheit genommen ein Exemplar von meiner      
  31 neuen Auflage von Erxlebens Physik beyzulegen. Was ich in der      
  32 Vorrede darüber gesagt habe, ist im strengsten Verstande wahr. Ich      
  33 wünschte nun fast, daß ich dem Vorschlag des Verlegers gefolgt wäre,      
  34 die vorlezte Ausgabe ohne Veränderung, weil es an Exemplaren fehlte,      
  35 abdrucken zu lassen, denn ich finde nun fast täglich die traurigsten      
  36 Spuren der Eile und des Mismuthes. Einige Verbesserungen habe      
           
     

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