Kant: Briefwechsel, Brief 353, Von Carl Leonhard Reinhold.

     
           
 

 

 

 

 

 
  Von Carl Leonhard Reinhold.      
           
  9. April 1789.      
           
  Empfangen Sie, mein höchstverehrungswürdiger Lehrer und Freund,      
  den beykommenden jungen Blüthenzweig von dem Baume den Sie      
  gepflanzt haben. Sollte er das Glück haben Ihnen durch Geruch und      
  Farbe einigermassen zu gefallen; so habe ich dann keinen herzlichern      
  Wunsch für ihn, als daß er den Zwey und Zwanzigsten April (: der      
  wenn mich die Aufschrift ihres aus Berlin mir zu[ge]sendeten Portraits      
  nicht täuscht Ihr Geburtstag ist :) in Ihren Händen seyn möge. Möge      
  er Sie dann an einen Menschen erinnern, dem dieser der ganzen      
  Menschheit so wichtige Tag, der festlichste unter allen Tagen ist, und      
  der stolz darauf ist, sich einbilden zu können, daß keiner seiner Zeitgenossen      
  die Wichtigkeit dieses Tages tiefer zu fühlen vermöge.      
           
  Sie werden durch diese Kleinigkeit überzeugt werden, wie wenig      
  mein Geist, das für mich so lange Iahr während welchem ich Sie      
  mit meinen schriftlichen Besuchen verschonen zu müssen geglaubt habe,      
  dem Ihrigen von der Seite gekommen ist. Ich kann mir keine innigere      
           
  Vereinigung als möglich denken, als diejenige die zwischen unsren      
  Gemüthern obwaltet. Welche Seeligkeit liegt in dieser Überzeugung      
  für mich!      
           
  Ich hoffe, und auch Schütz und Hufeland hoffen es, die Theorie      
  des Vorstellungsvermögens, die gleich nach Ostern gedruckt zu      
  werden anfängt, aber erst zur Michaelsmesse ganz fertig seyn wird,      
  soll etwas beytragen, dem unglücklichen Gange, den die sogenannte      
  Prüfung Ihrer Philosophie durch die berühmten und berühmt werden      
  wollenden Kenner der Dinge an sich, genommen hat eine andere      
  Wendung zu geben. So lange man auf diesem Wege fortfährt Sie      
  zu widerlegen und zu vertheidigen; kann schlechterdings nichts für die      
  Wahrheit gewonnen werden, ausser etwa Beschämung ihrer Gegner      
  durch sich selbst. Das Lesende Publikum wird durch die Fechterstreiche      
  der Eberharde, Weishaupte, Flatte u. s. w. wirklich schüchtern gemacht,      
  die Sache selbst erhält ein widerliches abschreckendes Aussehen, und      
  die in so vielen Rücksichten unentbehrliche Reformation wird verzögert.      
  Ich bitte, und beschwöre Sie, nach reifer Überlegung wage ichs, nicht      
  etwa sich mit Widerlegung und Erörterung zu befassen, denn die würden      
  vergebens seyn und ihre Zeit ist zu heilig; sondern nur um die einfache      
  öffentliche Erklärung, zu der Sie als bester Ausleger des      
  Sinnes ihrer Worte so ganz befugt sind: Daß man (: z. B. Eberhard      
  u. s. w.) Sie nicht verstanden habe. Sie thun damit der      
  guten Sache einen sehr wesentlichen Dienst. Ein sehr beträchtlicher      
  und achtungswehrter Theil glaubt Sie wären widerlegt, und kömmt      
  dadurch um alle die herrlichen Vortheil, die er durch die Kritik für      
  Kopf und Herz ziehen könnte. Ihre Erklärung, die nicht zu bald genug      
  geschehen kann, wird in meiner Theorie des Vorstellungsv. durch äusserst      
  auffallende Beyspiele erläutert werden. Unmaßgeblich dürften sie diese      
  Erklärung, nur in eine ostensible Stelle ihres nächsten Briefes an      
  mich einkleiden; die dann in die A. L. Z. und mit einigen begleitenden      
  Gedanken von mir, bey welchen ich die größte mögliche Delikatesse      
  anzuwenden suchen, und die ich Schütz, Hufeland und Wieland vorher      
  vorlegen werde, in den nächsten Merkur eingerückt werden könnte.      
           
  Mit innigster Liebe und tiefster Hochachtung      
           
  den 9 April 789. ewig ganz ihr eigner      
    Reinhold.      
           
           
  N. S.      
  Ich verehre den Herrn Professor Krause den ich durch meinen      
  Freund Hufeland als einen ganz ausserordentlichen Denker kennen gelernt      
  habe. Sollte ers wohl gut aufnehmen wenn ich Ihm meine      
  Abhandlung schickte und mir seine Freundschaft ausbäthe? Ich fürchte      
  zudringlich zu werden und erwarte hierüber Ihren Wink.      
           
           
           
     

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