Kant: Briefwechsel, Brief 348, Von Iohann Erich Biester.

     
           
 

 

 

 

 

 
  Von Iohann Erich Biester.      
           
  Berlin, 7 März 1789.      
           
  Ich sende Ihnen hier, Theurester und Verehrungswehrter Mann,      
  das neue Quartal der Berl. Monatsschrift. In dem neuesten Stücke      
  (März, Nr. 1) hat ein Ungenannter, wie mich dünkt in einer sehr      
  feinen u. schön ausgedrückten Allegorie den Unterschied der Wolfischen      
  und Kantischen Philosophie angegeben: wie jene stolz dogmatisch,      
  eilig von Schluß auf Schluß u. Beweis auf Beweis schreitend, u. eingebildet      
  Wahrheitschaffend; diese hingegen warnend, die Schwierigkeiten      
  kennend u. anzeigend, u. daher wahrhaft belehrend u. nützlich ist.      
  Der Verfasser (der aber unbekannt zu bleiben wünscht) ist der sonst      
  als Historiker schätzbare Professor Hegewisch zu Kiel.      
           
  Nehmen Sie übrigens, Theurester, auch diesen Anfang des neuen      
  Iahrganges mit Ihrer gewohnten Güte an. Sie sehen, wir fahren      
  auf unserm gewohnten Wege fort, und haben noch immer gute u.      
  scharfsinnige Mitarbeiter. Treten Sie also auch mal wieder zu uns,      
  wie Sie es sonst so fleißig und lehrreich thaten. - Ihre größern      
  Arbeiten, die ich mit allen Kräften meines Geistes u. Gefühles bewundere,      
  haben Ihnen freilich bis itzt alle Zeit zu solchen Nebensachen      
  geraubt. Aber ich hoffe, daß Sie auch einst wieder gütig an die      
  Monatsschrift denken werden; und das um so mehr, da Sie mir von      
  Zeit zu Zeit durch Reisende Ihr fortdaurendes Wohlwollen nebst      
  einem Versprechen, nächstens zu schreiben u. zu schicken, haben ankündigen      
  lassen.      
           
  Mit dem größten Vergnügen erfahre ich, daß (was Sie vielleicht      
  itzt Selbst noch nicht wissen) vor einigen Tagen das OberSchulkollegium      
  beschlossen, Ihnen Ihr feststehendes Gehalt bis auf 500 Rthl. jährlich      
  zu erhöhen. Dieser Zug von Gerechtigkeit, wodurch endlich eine langbegangene      
  Nachläßigkeit wieder in etwas gut gemacht wird, hat alle      
  denkende Menschen hier außerordentlich erfreut; u. daß um so mehr,      
  weil durch keine Vorstellung von dort her (vom dortigen Staatsministerium      
  oder sonst) sondern bloß durch die Erinnerung einiger      
  wohldenkenden Glieder des O[ber]Schulkollegiums dieser Entschluß      
  sogleich bewilligt und gefaßt ist. Mit dem lebhaftesten Antheil an      
  dieser angenehmen Veränderung, welche Ihnen die so wohl verdiente      
           
  größere Bequemlichkeit u. Gemächlichkeit schaffen kann, - wünsche ich      
  nicht sowohl Ihnen dazu Glück, als vielmehr unsrer Regierung, welche      
  durch solche Handlungen in den Augen eines nicht zu strengen Richters      
  manche andere expiiren kann.      
           
  Der Genius unsers Vaterlandes erhalte Sie noch lange zu unsrer      
  Ehre und zu unsrer Belehrung!      
           
  Leben Sie gesund u. wohl, und würdigen mich Ihrer fortdaurenden      
  gütigen Freundschaft.      
  Biester.      
           
  HE. Prof. Kraus werde ich nächstens wegen eines nach England      
  zu richtenden Schreibens antworten.      
           
           
           
     

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