Kant: Briefwechsel, Brief 237, Von Christian Gottfried Schütz.

     
           
 

 

 

 

 

 
  Von Christian Gottfried Schütz.      
           
  18. Febr. 1785.      
           
  Verehrungswürdigster Herr Professor!      
  Sie können nicht glauben, wie sehr ich mich gesehnet habe Ihnen      
  auf Ihr letztes mir unschätzbares Schreiben endlich einmal antworten      
  zu können. Die ersten Geschäfte mit der Allg. Lit. Zeitung haben      
  mich bisher immer daran verhindert.      
           
  Ihre Recension von Herder werden Sie nun wohl schon im Abdruck      
  wieder gesehn haben. Ieder der unbefangen urtheilt hält sie      
  für ein Meisterstück von Präcision, und was wollen Sie sagen, viele      
  erkannten Sie darinn. Ich darf Ihnen sagen, daß diese Recension,      
  da sie mit in die Probebogen kam, gewiß sehr viel zu dem Beyfall      
  beygetragen, den die A. L. Z. erhalten hat.      
           
  Hr. Herder soll indessen sehr empfindlich darüber gewesen seyn.      
  Ein junger Convertit Namens Reinhold, der sich in Wielands Hause      
  zu Weimar aufhält, und bereits im Mercur eine gräuliche Posaune      
  über Herders Werke angestimmt hatte, will gar eine (si diis placet)      
  Widerlegung Ihrer Recension in dem Februarstück des d. Mercur      
  einrücken. Ich sende Ihnen dis Blatt sobald ichs erhalte zu. Gern      
  höchst gern würden es die Unternehmer sehn, wenn Sie sodann darauf      
  antworten wollten. Scheints Ihnen aber der Mühe nicht werth, so      
  will ich schon für eine Replic sorgen.      
           
  Mein Gott, und Sie konnten schreiben, Sie thäten aufs honorarium      
  Verzicht wenn etc. Sie konnten glauben, eine Recension, wie die Ihrige,      
  dürfte nicht genehm seyn! Mir brachen die Thränen unfreywillig aus,      
  als ich das laß. Eine solche Bescheidenheit von einem Manne wie Sie!      
           
  Ich kann das Gefühl nicht beschreiben das ich hatte. Es war Freude,      
  Schrecken und Indignation zusammen, letztre besonders, wenn ich an      
  die Unbescheidenheit mancher Gelehrten dieses seculi denke, die nicht      
  werth seyn dürften einem Kant die Riemen an den Schuhen aufzulösen.      
           
  Haben Sie doch die Gewogenheit Innigstverehrter Mann, mir      
  mit nächstem zu melden, ob Sie nicht noch einige der besten philosophischen      
  Werke für dis halbe Iahr recensiren wollen z. B. Platners      
  Aphorismen; Eberhards vermischte Schriften u. e. a.      
           
  Noch in dem März oder April der Allg. Lit. Zeitung soll bey      
  Gelegenheit des Hn. HofPr. Schulz eine Darstellung der Revolution,      
  die die Metaphysik Ihnen zu danken hat erscheinen. Ihr Werk ist      
  wahrhaftig kein αγωνισμα ες το παραχρημα, es ist ein κτημα ες αει.      
           
  Da man überall fest glaubt, daß Sie der Recensent in der      
  A. L. Z. von Herders Buche sind, so höre ich heute Hr. H. wolle selbst      
  an Sie schreiben. Ich möchte wohl wissen obs wahr wäre. O wie      
  wahr ists, was Sie sagen, es gibt der Leute wenig, denen Philosophie      
  am Herzen liegt. Hätte ich H. Buch geschrieben, ich würde stolzer auf      
  Ihre Kritik seyn, als auf das elende Lobgewäsche seichter Köpfe.      
           
  Ich brenne vor Begierde Ihre neue Schrift zu sehn. Glauben      
  Sie mir Ihr Werk wirkt im Stillen mehr, als Sie vielleicht denken.      
  Eine artige Anekdote muß ich Ihnen melden. Hr. Platner gibt seine      
  Aphorismen neu heraus; da sie bogenweise herauskamen, war auf      
  einem Blatte ein Zweifel gegen eine Stelle Ihrer Kritik vorgebracht,      
  und zugleich angezeigt, daß Ihre Kritik im Anhange besonders untersucht      
  werden solle. Nun da die Aphorismen herauskommen, wird jenes      
  Blatt durchgeschnitten, ein Carton dafür gedruckt, und der Anhang ist      
  gar nicht erschienen. Vermuthlich hat Hr. P. seine Zweifel nach wiederholtem      
  Nachdenken gehoben gefunden.      
           
  Ich muß izt abbrechen, und kann Sie nur noch ersuchen die Beylage      
  an die Hartungische Buchhandlung abgeben zu lassen; und zwar      
  gleich nach Empfang dieses.      
           
  In einigen Posttagen schreib' ich Ihnen wieder; indessen bitte nur mit      
  zwey Worten mir (unfrankirt) wissen zu lassen, ob Sie obige Bücher recensiren      
  wollen; auch was Sie sonst etwa noch zur A. L. Z. beytragen möchten.      
           
  Auch an Ihren treffl. Ausätzen in der Berliner Monatschrift habe      
  ich mich herzlich erbauet, und statte Ihnen meines Theils den Dank      
  ab, den Ihnen gewiß unzähliche Leser im Herzen dafür sagen.      
           
           
  Leben Sie wohl, Verehrungswürdigster Mann, und seyn Sie versichert,      
  daß ich mit der innigsten Ehrfurcht und Liebe bin      
           
    Ihr      
    ganz eigner u gehorsamster      
  Jena d. 18 Febr. Schütz      
  1785.        
           
           
           
     

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