Kant: Briefwechsel, Brief 226, Von Friedrich Victor Leberecht Plessing.

     
           
 

 

 

 

 

 
  Von Friedrich Victor Leberecht Plessing.      
           
  15. März 1784.      
           
  Da Briefe nach Westpreußen abgehen, so lege ich dies Blat an      
  Ew. Wohlgeb. bei, Denenselben meine immerwährende Hochachtung zu      
  bezeigen und zu versichern, wie Dero Andenken immer unter den innigsten      
  Empfindungen in meiner Seele gegenwärtig ist. Ich habe diesen Winter      
  sehr kränklich zugebracht und leide noch sehr an Augen=Übel, so da      
  ich zu Geschäften ganz unfähig geworden, doch aber nun Hoffnung zur      
  Beßerung habe. Ich schreibe also, da durch meinen Vater heut Briefe      
  nach Graudenz abgeschikt werden, nur diese wenige Zeilen, durch die      
  ich Ew. Wohlgeb. zugleich Dank für die Güte sage, mit der Sie meine      
  Bitte erfüllet haben, wie mich Dero Brief vom 3 Febr. hievon überzeugt.      
  - Im Vertrauen zu Dero mir so sehr bewußten edlen Gesinnungen,      
  nehme ich mir izt noch mahls die Freiheit 3 rthl. an Dieselben      
  zu übermachen, mit gehorsamster Bitte, sie an HE Iohn zu      
  übersenden, um den vierteljährlichen Abtrag davon zu besorgen; dies      
  Geld kommt über Graudenz. - Ich denke doch, daß HE Iohn das      
  Geld immer richtig abtragen wird; zwar weiß ich nicht, ob er      
  sich von der Person Quittung geben läßt; denn HE Iohn hat nun      
  schon in Iahr und Tag nicht an mich geschrieben. Wüßte ich die      
  Sache anders einzurichten, so würde ich ihn nicht mit Auszahlung der      
  Gelder mehr beschwerlich fallen.      
           
  So viel ich kann und die Natur der Sache erlaubt, antworte ich      
  auf den Punkt, worüber Sie nähere Erörterung von mir verlangen,      
  folgendes: Durch Schwärmerei und Aberglauben steht uns allerdings      
  (:traurigen Warscheinlichkeiten zufolge:) wieder große Einschränkung      
  der Denk=Freiheit, ia, wohl noch was schlimmers bevor; und alle Rechtschaffne,      
  die die Menschheit lieben, zittern. Ew. Wohlgeb. haben die      
  eine Seite, von der Gefahr droht, gerathen: nur daß Sie sich dieselbe      
  etwas zu gering vorstellen. Die Iesuiten sind vorzüglich diejenigen,      
           
  welche, als Feinde der Vernunft und menschlichen Glükseeligkeit, izt      
  unter allen möglichen Gestalten und Konnexionen ihr Werk treiben.      
  Dieser Orden ist mächtiger als jemahls, und er würkt allenthalben      
  unter M-r-n, unter Katholiken und Protestanten; ein protestantischer      
  König soll selbst heimlicher I-s-t seyn: diese höllische Geister haben      
  die Herzen der Prinzen und Fürsten vergiftet; der Schein von Toleranz      
  bei den Katholiken, ist ein Werk das von ihnen herkommt, und wodurch      
  sie sogar die Protestanten suchen endlich unter den Katholicismuß      
  zu bringen. Geister bannen und dergleichen Schwärmereien, auch wohl      
  Gold machen u.d.g. sind Dinge, die von den angesehnsten Personen      
  geglaubt werden: ich selbst habe zu Berlin in Gesellschaften von vornehmen      
  Personen dergleichen gehört. Auch hält sich ein ehmaliger Gefährt      
  von Schröpfer bei einer sehr großen Person in Potsdam oder      
  Berlin auf. Mit des Kaysers Toleranz hat es nicht viel zu bedeuten,      
  und selbst hierunter hat Belial sein Spiel. - So wie die Menschen      
  immer wüthend gegen ihr eigen Heil, gegen Vernunft und Aufklärung      
  gewesen, so geschieht dies nun auch gegenwärtig: die Protestanten suchen      
  durch Errichtung von Gesellschaften, der Aufklärung (:wie sie sagen      
  der Atheisterei, dem Werk des Teufels:) entgegen zu arbeiten: eine      
  dieser Gesellschaften hat ihre Äste durch die Schweitz, Holland, Teutschland      
  und Preußen ausgebreitet; sie ist auch in Königsberg: hier an      
  diesem Ort, wo gesunde Vernunft auch gänzlich Kontre=Bande ist und      
  lauter Abderiten leben, ist auch eine Loge dieser Gesellschaft(:Urlsperger      
  von Augsspurg hat sie gestiftet, in Berlin sind Silberschlag und Apitsch      
  die bekannten Mitglieder davon, welche man öffentlich nennen kann:),      
  und hinter dergleichen Gesellschaften stekken sich auch die Iesuiten, um      
  nur den Keim der Vernunft mehr zu erstikken, und den Saamen der      
  Dumheit auszusäen. Wie groß ist mir unser König! und wie viel      
  hat ihm die menschl. Vernunft zu danken! m[öchte er doch] nur noch      
  20 Iahre leben können: Despotismuß, Schwärmerei und Aberglaube      
  drohen izt ganz Europa zu Boden zu drükken. Der Katholicismuß      
  und Iesuitismuß strekt seine Arme auch über England, Dännemark,      
  Schweden aus. England ist seinem Untergang nahe. - - Vergeben      
  Sie, theurer verehrungswürdiger Mann, daß ich Ihnen dies alles in      
  einer so rohen troknen Linie hingeworfen habe: ich habe nicht Vermögen,      
  izt zusammenhangender zu schreiben, behalte mir dies aber vor, da ich      
  auch HE Hamann und Brahl schreiben werde, denen, wenn Sie Gelegenheit      
           
  dazu haben sollten, ich mich zu emphelen gehorsamst bitte:      
  Izt aber kann ich nicht an Sie schreiben.      
           
  Rechtschaffener Mann, Sie befinden sich in einer Lage, daß Sie es      
  können, brauchen Sie Ihre Feder noch, um die Sache der Vernunft      
  und Menschlichkeit, durch irgend etwas Frappantes zu führen. - Doch      
  Sie werden von allem was ich Ihnen geschriben, vermuthlich nun      
  schon mehr wißen.      
           
  Leben Sie wohl! erinnern Sie sich noch bisweilen meiner. Mit      
  innigst gerührter Seele denke ich noch immer an Sie und Ihren edlen      
  Freund, dem ich mich tausendmahl zu emphelen bitte. Mit der innigsten      
  Neigung, Verehrung und Hochachtung bin ich ewig      
           
    Ew. Wohlgeb.      
  W. den 15 März 84 W. den 15 März 84 treuester und gehorsamter      
    Pl.      
           
           
           
     

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