Kant: Briefwechsel, Brief 187, Von Heinrich Christian Reichsgraf v. Keyserling. |
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| Von Heinrich Christian Reichsgraf v. Keyserling. | |||||||
| 29. Dec. 1782. | |||||||
| HochEdelgebohrner Herr | |||||||
| Insonders HochgeEhrter Herr Professor, | |||||||
| Verzeihen Ew. Hochedelgeb: es mir, wann ich Dero geEhrtes | |||||||
| Schreiben d. d 30 Novbr nicht so prompte beantwortet habe, als es | |||||||
| meine Schuldigkeit und der Anstand erfordern. Kleine Reisen und | |||||||
| zum Theil unangenehme Vorfälle beschäfftigten mich mit Angelegenheiten, | |||||||
| die theils Politische Ursachen, theils auch Pflichten der Freündschafft | |||||||
| zum Grunde hatten, die ich um so weniger hindansetzen konte, | |||||||
| weil selbige durch das Band der Natur ein größeres Gewicht hatten. | |||||||
| Die Durchreise des Printzen von Würtenberg gab mir auf sein schrifftliches | |||||||
| Begehren die Veranlaßung eine tour nach Litthauen zu machen, | |||||||
| weil er sich in Curland und in Mietau gar nicht aufhalten wollte. | |||||||
| Der Graf und die Grafin von Norden appointirten uns nach Mietau, | |||||||
| wo wir wegen der ungewißen Bestimmung, wann sie daselbst eintreffen | |||||||
| würden, einen längeren Auffenthalt machen mußten, als wir vermutheten | |||||||
| und als es uns angenehm war. Ich habe den ersteren, den | |||||||
| ich nunmehr GroßFürst von Rußland nenne, in seinem Betragen und | |||||||
| in seiner Representation nicht geändert gefunden, vielmehr scheint seine | |||||||
| Politesse, Leutseeligkeit und popularité zugenommen zu haben. Die | |||||||
| GroßFürstin hingegen scheinet die Representation ihrer Aussicht angenommen | |||||||
| zu haben. Iede Aussicht ist und bleibt aber immer ungewiß, | |||||||
| so lange bis sie in ihre Erfüllung gegangen ist, und so lange scheinet | |||||||
| auch eine solche Representation, nicht so angebracht zu seyn, daß sie | |||||||
| den Beyfall des Publici erwarten kan, wann gleich das Publicum nicht | |||||||
| so laut schreyet, daß deßen Urtheil zu ihrem Ohre kommt. Doch | |||||||
| können auch solche große Persohnen entschuldiget werden. Die Großen | |||||||
| werden meistenstheils durch die Erhebungen ihrer Scheinverdienste von | |||||||
| denen Schmeichlern in würklichen Uebeln eingeschläffert: Wie viele dergleichen | |||||||
| mag die Prinzeßin auf allen ihren Reisen nicht angetroffen haben, | |||||||
| die denen ScheinTugenden einen Anstrich zu geben gewußt haben, | |||||||
| die ihre Hoheit und ihren Reichtum bewundert haben: Ist es dann | |||||||
| Wunder, wann die Representation einer GroßFürstin sich in die Representation | |||||||
| einer regierenden Kayserin verwandelt hat? Ob selbige | |||||||
| auch in Petersburg beybehalten werden wird? ist eine Frage, die wie | |||||||
| ich glaube sich selbst beantwortet. Der GroßFürst ist außerordentlich | |||||||
| poli gegen den Herzog gewesen, dem er die Visite auf dem Schlo | |||||||
| gemacht und ausdrücklich von ihm begehrte ihn mit der Herzogin bekannt | |||||||
| zu machen, der er die Visite in ihren Zimmern gab. Er erschien in | |||||||
| Trauer, weil der Herzog und die Herzogin um die alte Herzogin | |||||||
| trauern. Doch genug von politicis in dieser Art. Der Todt unsers | |||||||
| jüngsten GroßSohnes und vornehmlich das Absterben meiner Schwester | |||||||
| Mannes, des LandMarschalls v. Medem ein Vater Bruder der Herzogin, | |||||||
| gaben mir traurige aber solche Beschäfftigungen die mit Pflichten verknüpft | |||||||
| waren. Er war ein Muster rechtschaffener Gesinnungen gegen | |||||||
| Gott und Menschen. | |||||||
| Nunmehro kan ich mit ruhiger GemüthsFaßung Dero gütiges | |||||||
| Schreiben, welches mir viel Freüde machte mit Muße beantworten. | |||||||
| Ich übernehme mit Freüden, die mir zugeschickte Ankündigungen | |||||||
| des HEn Prof: Mangelsdorff in meinem Vaterlande und denen ihm | |||||||
| angrenzenden Ländern, besonders in Litthauen, wo der barbarismus | |||||||
| nach dem moralischen Barometre noch ein wenig höher gestiegen ist, | |||||||
| als in Curland, bekannt zu machen, dahero ich wohl wünschte noch | |||||||
| dergleichen sechß Ankündigungen zu haben, um sie unter meine Verwandte | |||||||
| in Litthauen zu vertheilen. Wie sehr wünsche ich, daß meine | |||||||
| bemittelte LandsLeüte, die schöne Gelegenheit nutzen mögte, die ihnen | |||||||
| der HE Prof: Mangelsdorff darbietet ihre Kinder zu bilden und zu | |||||||
| nützliche Glieder der Menschlichen Gesellschafft zu machen. Bißhero | |||||||
| kan man bey der Geburt eines jeden Curlandischen und Litthauischen Edelmannes | |||||||
| in concreto behaupten, daß die biß zum äußersten Greüel | |||||||
| angewachsene Menge der adelichen Müßiggänger vermehret worden. | |||||||
| Der Größte Haufen des Curländischen und Litthauischen Adels ist | |||||||
| arm und dahero so unglücklich daß er nicht im Stande ist seinen | |||||||
| Kindern einen solchen Unterricht zu geben, der sie vorbereite, den | |||||||
| Unterricht nutzen zu können, den der HE: Prof Mangelsdorff darbietet. | |||||||
| Die 40 oder 50 Edelleüte, die in denen beyden Provintzen bemittelt | |||||||
| gnug sind, um ihren Kindern eine gute Erziehung zu geben, | |||||||
| bekümmern sich wenig um die Erziehung ihrer Kinder, theils weil sie | |||||||
| auch so von ihren Eltern, erzogen worden, theils weil sie sich mit | |||||||
| ihrer Wirtschafft, oder mit Vergnügungen beschäfftigen, welche ihnen | |||||||
| die lange Weile vertreibt. Sie glauben also die Elterliche Pflicht im | |||||||
| höchsten Grad erfüllt zu haben wann sie ihren Kindern einen HoffM[ei]st[e]r | |||||||
| halten, oder selbige bey einem LandPriester, der für einen sehr wohlfeilen | |||||||
| Preiß sich den Nahmen eines Grundgelehrten Mannes erworben | |||||||
| hat, in pension geben, wo der hoffnungsvolle Iüngling bloß durch den Umgang | |||||||
| mit dem HEn Pastor ein Gelehrter werden soll. Wie viel sich ein | |||||||
| Mann der eine Gemeinde von 1500 biß 2000 Seelen hat, der alle Sonn | |||||||
| und Feyer Tage predigen soll und gar öffters eine oder zwey Meilen zu | |||||||
| Kranken fahren muß, überdem eine ordentliche LandWirtschafft, wie | |||||||
| ein Gutsbesitzer, hat, sich mit seinen jungen Zöglingen abgeben kan, | |||||||
| überlaße ich einem jeden zu beurtheilen. Inzwischen wächßt der junge | |||||||
| Herr heran und der Vater beurtheilet nicht nach denen Fähigkeiten | |||||||
| und erlangten Kenntnißen seines Sohnes, sondern nach deßen Iahren | |||||||
| oder Wuchß, die Frage ob er ihn nunmehro auf eine hohe Schule | |||||||
| schicken soll, wobey er, den Einschnitt des Jahres oder die Preise des | |||||||
| Getreydes hauptsachlich in Erwegung ziehet. Fällt nun die Entscheidung | |||||||
| affirmative aus für die Verschickung auf die Accademie, und sollte der | |||||||
| HE Professor Mangelsdorff jemahls einen solchen Iüngling im Hause | |||||||
| bekommen, so mag er sich vorbereiten einen jungen Menschen zu bekommen, | |||||||
| deßen Gemählde ich Ew: HochEdelgeb. schildern will indem | |||||||
| ich ihn redend aufführe und sich selbst schildern laße, wie folget: | |||||||
| Ich gehe in mein 17tes oder achtzehendes Iahr, und kan | |||||||
| weder recht lesen noch recht schreiben noch auch gut rechnen. Ich | |||||||
| denke mich aber doch klug genug. Mein Vortrag im Teütschen | |||||||
| ist schlecht, vom lateinischen habe ich nichts gelernet. Ich brauche | |||||||
| es auch nicht, denn wenn ich einmahl in Landes Angelegenheiten | |||||||
| nach Pohlen verschickt werde, so nehme ich einen Studenten oder | |||||||
| noch beßer einen Advocaten mit, warum soll ich mir also den | |||||||
| Kopf mit der dummen Sprache zerbrechen. Französisch kan ich | |||||||
| auch nicht, aber das kan ich leicht lernen. Mein Vater muß mich | |||||||
| auf ein Iahr in Französische Dienste gehen laßen. | |||||||
| Ich habe viele Begierden, davon einige schwach, einige stark | |||||||
| sind. Von der Mäßigung weiß ich nichts. Ich eße, was mir | |||||||
| schmeckt und trinke so viel ich kan. Der Eigennutz gehört vornehmlich | |||||||
| zu dem Caracter meiner DenkungsArt. Die Uberlegung | |||||||
| kan diese Fehler nicht schwächen, weil ich mit dem vielen | |||||||
| Überlegen mich gar nicht abgeben will. Wann mein Vater und | |||||||
| meine Mutter einmahl sterben, so werde ich wohl ein schönes | |||||||
| Gut bekommen, aber das ist fatal, daß ich an meine Geschwister | |||||||
| werde auszahlen müßen. Wann diese mögten sterben, so könte | |||||||
| ich recht reich und glücklich seyn. Gegen alle Hochachtung, die | |||||||
| man durch Witz und Schein des Verdienstes erlanget, bin ich | |||||||
| gleichgültig, wenn ich nur Geld habe oder auf den LandTägen | |||||||
| werde brav schreyen können, wird man mich schon achten. | |||||||
| Die Religion ist eine Neben=Sache, von der ich werde Gebrauch | |||||||
| machen wann sie mir was einbrengt z. B. bey meiner alten | |||||||
| Tante, will ich mich recht andächtig stellen, vielleicht vermacht | |||||||
| sie mir das Capital, was bey meinen Vater steht. | |||||||
| Wann ich alleine bin wird mir die Zeit sehr lang. In | |||||||
| gesellschafften führe ich gerne das Wort und rede nicht von etwas | |||||||
| lieber, als von Pferden, Iagdhunden, IagdFlinten und von | |||||||
| Maedgens. Spielen vertreibt mir auch die Zeit und die Pfeiffe | |||||||
| Toback ist mir eine große ressource. Ich bin so lange Freünd | |||||||
| von einem, als er mir nützlich seyn kan. Von meinen ersten | |||||||
| Regungen bin ich nicht Meister und suche auch nicht es zu werden. | |||||||
| Wann ich mich beleidigt glaube so schimpfe ich oder schlage | |||||||
| gleich loß. Dann Point d'honneur habe ich recht viel. Wann | |||||||
| meine Vorgesetzte meine Fehler mir vorrücken, so laße ich sie | |||||||
| reden und lache über sie. Ich lobe nicht gerne etwas außer | |||||||
| meinem Vaterland, wo ich alles beßer halte. Das Andenken | |||||||
| eines geleisteten Dienstes verliehret sich bald bey mir, und ich | |||||||
| hüte mich davon mit andern zu sprechen. Ich schertze gerne, | |||||||
| weil ich glaube daß ich den erforderlichen Witz dazu habe. Ich | |||||||
| kenne keine große Traurigkeit, weil mich Gott lob nichts so | |||||||
| außerordentlich rührt, daß es auf mein Gemüth einen wehmüthigen | |||||||
| Eindruk macht. Sehe ich bey andern Gebrechen oder Fehler, | |||||||
| sie mögen moralisch oder Physisch seyn so freüe ich mich, weil | |||||||
| ich meinen Witz anbringen kan. Geschmack habe ich an nichts. | |||||||
| Doch möchte ich wohl gut drechßeln können, oder sonst etwas von | |||||||
| einem Handwerk wißen. Ich habe gesehen daß mein Vater und mein | |||||||
| MutterBruder sich damit die Zeit vertreiben, wenn sie alleine sind. | |||||||
| Hier haben Sie lieber Freund die Squizze eines jungen Edelmanns | |||||||
| dem man auf Universitaeten oder wann die Eltern das Vermögen | |||||||
| nicht haben, in frembde Militair Dienste schicket. Was eine | |||||||
| solche Erziehung auf die Menschliche Gesellschafft im Staat und auf | |||||||
| den Staat selbst für einen Einfluß hat, zeiget die innerliche Lage des | |||||||
| Landes, die ohnmöglich so bleiben kan. Herr Hamann sagte einmahl, | |||||||
| daß die Curländer keine Seelen hätten, bey ihnen wäre alles Magen. | |||||||
| Ich muß ihm in der That beypflichten: Allein stellen sie sich nun einen | |||||||
| Staat vor der von lauter Magen regieret wird, dann auf unsern | |||||||
| Kirchspiels und Land=Tägen, bringt ein jeder Edelmann und Deputirte | |||||||
| seine portiunculam Majestatis mit sich. Nun aber genug von dieser | |||||||
| Materie, die wenn ich werde so glücklich seyn wieder einmahl mit Ew. | |||||||
| HochEdelgeb: in Gesellschafft zu seyn uns auch Stoff zu unsern Unterhaltungen | |||||||
| geben wird. Ich schreite nunmehro zu einer andern Materie | |||||||
| zu welcher Dieselben mir in Dero Schreiben durch die darinnen angeführte | |||||||
| Rußisch Kayserl. Ukase, Veranlaßung geben. | |||||||
| Für das erste muß ich dem Königsbergischen Publico den Irrthum | |||||||
| benehmen, als wann in Curland eine Rußische Ukase publicirt worden, | |||||||
| vermöge welcher denen Curländern verbothen worden, ihr Getreyde | |||||||
| und übrige Lebens Mittel durch ihre eigene Häfen zu verschiffen, sondern | |||||||
| solches nach Riga zu führen. Bißhero ist Curland noch immer von | |||||||
| Ukasen befreyet gewesen. Wann Rußische Truppen im Lande waren, | |||||||
| so bekamen die Befehlshaber wohl Ukasen, die einen Bezug auf unser | |||||||
| Land hatten, und sie veranlaßten mit der Regierung oder mit dem | |||||||
| Adel zu conferiren, allein directe an die Regierung oder dem Adel ist | |||||||
| noch niemahlen eine Ukase gerichtet gewesen. Eine ähnliche Bewandni | |||||||
| hat es mit der Ukase, deren Ew. HochEdelgeb: in Dero Schreiben | |||||||
| erwehnen. Diese ist an den General Brown als Gouverneur von | |||||||
| Lieffland gerichtet gewesen, nicht aber in der Art, daß dem Hertzog | |||||||
| und dem Lande befohlen werden soll, sondern vom Hertzog eine Erklährung | |||||||
| begehrt werden mögte, daß er den zwischen den Hertzog Friedrich | |||||||
| von Curland und der Stadt Riga im Iahr 1615 errichteten Vertrag | |||||||
| in Erfüllung zu bringen, die gehörige Anordnung machen mögte. | |||||||
| Dieser Vertrag hat einigen gewinnsüchtigen Leüten, die Veranlaßung | |||||||
| gegeben bey dem Commercien Collegio in Petersburg eine Vorstellung | |||||||
| einzugeben und eine Ukase durch das Vorwort solcher Persohnen zu | |||||||
| exportiren, die eben so wenig wißen, daß die Geschichte eines Vertrags, | |||||||
| den Sinn deßselben erkläret, als sie den titulum de interpretatione | |||||||
| verborum aus des Grotius oder Puffendorf Jus naturae kennen. Weil ich | |||||||
| mit einem Gelehrten correspondire und mit einem Manne, der von | |||||||
| jeder Sache gerne gründlich urtheilen zu können, wünschet, in Historischen | |||||||
| Fällen aber richtige Data und facta, dazu erforderlich sind, so erlauben | |||||||
| Ew. HochEdelgeb: daß ich denenselben einen Statum causae, so | |||||||
| Summarisch als es nur mir wird möglich seyn, von dieser Angelegenheit | |||||||
| communicire. | |||||||
| Wann Ew: HochEdelgeb: die Carte von Lieffland und Curland | |||||||
| vor sich nehmen und die ersten Verhandlungen dazugenommen werden, | |||||||
| welche abgeschloßen worden, als sich das Herzogthum Curland durch | |||||||
| seine neüe eigengewählte RegierungsVerfaßung von dem übrigen | |||||||
| Lieffland trennte, so findet man, daß die Dwina vorzüglich zur Grentzlinie | |||||||
| bestimmt worden. Diese sonst ziemlich sichere Bestimmung der | |||||||
| Grentzen, gab aber in der Folge Anlaß zu allerhand Streitigkeiten mit | |||||||
| der Stadt Riga, die bald das Dominium utile auf diesen Fluß, bald | |||||||
| den Handel zum Gegenstand hatten: Diese Händel fiengen gleich zu | |||||||
| Herzogs Gotthards Zeiten, an, der doch der erste Herzog war, und | |||||||
| dauerten biß 1615, in welchem Iahr d. 21. oct., der Hertzog Friedrich | |||||||
| sich mit der Stadt Riga vergliche. Um nicht in meinem schon zu | |||||||
| langen Brief noch weitläuffiger zu werden, verweise ich Ew. HochEdelgeb: | |||||||
| auf des HEn Geheime Rath v. Ziegenhorn Curländisches Staats=Recht | |||||||
| deßselben Beylagen sub no: 90 und no. 100. Erstere ist eine Protestation | |||||||
| der Stadt Riga und letztere ist der Vertrag, deßen in der Rußischen Ukase | |||||||
| erwehnet wird. In eben diesen Vertrag, der fürnehmlich die Streitigkeiten | |||||||
| wegen des Dwina Flußes zum Gegenstand hatte und durch | |||||||
| selbige veranlaßet worden befindet sich unter mehreren außer dem | |||||||
| Dwina Fluß betreffenden Angelegenheiten auch folgender Satz | |||||||
| "Und weil über I. I. F. F. G. G. Portus, Windau et | |||||||
| "Liebau längst dem Strande etliche von Adel sich unterstanden | |||||||
| "neüe Portus zu eröfnen, welche auch dem Königl. Portorio nachtheilig | |||||||
| und abbrüchig seyn; Als haben I. I. F. F. D. D. mit | |||||||
| "der Stadt Riga sich vereiniget, sich bey der Königl. Majt. zu | |||||||
| "bemühen, damit solch ein verfänglich Ein= und Ausschiffen abgeschaffet | |||||||
| werden möge; Immaßen I. I. F. F. G. G. auch | |||||||
| "sonst langes Strandes keine Abschiffung ferner zu laßen, und | |||||||
| "darzu die Schutten, soviel deren vorhanden, bei den Bauren | |||||||
| "nicht weiter gedulden, auch in geregten ihren Häfen Sommer | |||||||
| "Korn und andere Victualien hinführo abzuschiffen nicht | |||||||
| "gestatten wollen. etc. | |||||||
| Diesen letzten passum, den ich unterstrichen habe, haben einige | |||||||
| dahin zu deüten gesucht, daß in ganz Curland alles Sommer Getreyde | |||||||
| nach denen Häfen Liebau uud Windau nicht verführet werden darff, | |||||||
| sondern von Riga aus verschiffet werden müßte, und sich hinter das | |||||||
| Commercien Collegium in Petersburg gestekt, um die Stadt Riga bei | |||||||
| Aufrechtha[l]tung des erwehnten Vertrags zu schützen. | |||||||
| Wenn man aber in Erwegung ziehet, daß die Abfurth auf der | |||||||
| Dwina die HauptVeranlaßung zu dem Vertrag gegeben hat und in | |||||||
| Ansehung des Handels auf diesen Fluß, dem Hertzog von Curland, | |||||||
| nachdem er sich des juris navigandi, importandi et exportandi merces | |||||||
| auf diesen Strohm begeben hat, verstattet wird 200 Last Korn zoll | |||||||
| frey einzuführen, so scheint schon die bestimmte Zahl mehr eine Einschränkung | |||||||
| zu seyn, daß nicht mehr Korn in die Stadt geführet werden | |||||||
| soll, und wiederspricht den vermeyntlichen Zwang daß alles nach Riga | |||||||
| gebracht werden müßte, welches fürnehmlich durch folgenden Satz dieses | |||||||
| Vertrags bestärkt wird, der von Wort zu Wort so lautet. "Vors dritte | |||||||
| "hat sich E. E. Hochweiser Rath samt Elterleüten und Gemeine, | |||||||
| "dahin erklähret: daß hinführo I. I. F. F. D. D. und dero Unterthanen | |||||||
| von Adel, so sich diese Handlung Submittiren, frey sein soll, | |||||||
| "ihr auf eigenem Grunde gewonnen Korn nach dieser Stadt zu | |||||||
| "führen und wofern sie es alsb[l]ald nicht verkauffen können bey den | |||||||
| "Bürgern aufzuschütten etc. Dieser passus des Vertrags läßt gar | |||||||
| keinen Zweiffel übrig, den Schluß zu machen, daß wann dem Curischen | |||||||
| Adel freygelaßen wird sein auf seinem Grunde gewonnen Korn nach | |||||||
| Riga zu führen, er daßselbe Korn, wann er es nicht nach Riga führen | |||||||
| will, auch nach andern Städten u. Häfen verführen kan. | |||||||
| Wann man nun die Geschichte, welche dem Vertrag vorgegangen, | |||||||
| und die vorerwehnte Sätze mit dem Satz vergleichet, wo man denen | |||||||
| Worten "in geregten ihren Häfen etc. eine wiedrige Deütung geben | |||||||
| will; so leüchtet es jedem raisonnirenden und vernünfftig urtheilenden | |||||||
| in die Augen, das die Worte: "in geregten ihren Häfen , auf diejenigen | |||||||
| Häfen zielen, welche einige von Adel sich unterstanden längst | |||||||
| dem Strande "über die Portus Windau und Liebau zu eröffnen | |||||||
| etc. nicht aber auf die Curischen Häfen Windau und Liebau, | |||||||
| als welche in eben diesem Satz von der Stadt Riga als gesetzmäßige | |||||||
| Häfen erkannt werden. | |||||||
| Wann nun aber auch dieser Vertrag noch so eine nachtheilige | |||||||
| Ausdeütung für Curland litte, so würde doch der Olivische Frieden | |||||||
| der 45 Iahre nachhero geschloßen worden die gantze Sache, entscheiden. | |||||||
| Man lese den 15ten Art: §. 1. commercia pristina sunt libera et | |||||||
| non impedita inter utrumque Regnum Pol: Svec: subjectas illis | |||||||
| Provincias etc . und in der Folge wird in eben diesem § auch sogar | |||||||
| der Handel auf der Dwina bestimmt verbis: Imprimis . | |||||||
| Inzwischen machte die communication dieser Ukase viel Aufsehen | |||||||
| und schien den Hertzog in einen embarras zu setzen, der natürlicher | |||||||
| Weise seine Herrn Ober=Räthe, Ministros status zu Rathe zog. Diese | |||||||
| Herrn mögen auch nicht viel vom Uberlegen und Nachdenken halten | |||||||
| und riethen dem Hertzog eine Erklährung dahin zu geben, daß er | |||||||
| zuförderst einen Landtag ausschreiben müßte um mit dem Adel über | |||||||
| die zu gebende Erklährung zu conferiren. Der Hertzog hatte das Vertrauen | |||||||
| gegen mich und verlangte meine Meynung. Ich gab sie schriftlich | |||||||
| und wiederrieth den Schritt eines Landtages, weil ich versichert wäre | |||||||
| das auf demselben, viel Lerm, viel Geschrey und vielleicht solche Verhandlungen | |||||||
| zu befürchten wären, die den Rußischen Hoff erbittern und | |||||||
| halsstarrig machen könten. Da aber der Hertzog und die Ober=Räthe | |||||||
| die Wächter der Gesetze und der Freyheit des Landes wären, so würde | |||||||
| der Rußische Hof gar nicht übel deüten können, wann der Hertzog eine | |||||||
| Erklährung gebe welche das Ansinnen der Stadt Riga wiederlegte. | |||||||
| Hätte eine solche Erklährung die gewünschte Wirkung nicht, so bliebe | |||||||
| dem Herzog dennoch frey alsdann zu erkennen zu geben, daß der | |||||||
| Gegenstand für den ganzen Adel von einer solchen Wichtigkeit sey, da | |||||||
| er ohne sich denen größten Vorwürffen auszusetzen und ohne Ubertretung | |||||||
| der ihm aufgetragenen Gewalt über seine Herzogthümer, ohne | |||||||
| Zuziehung deßselben nichts Förmliches abmachen könne. Der Hertzog | |||||||
| nahm meinen Vorschlag an. Ich setzte ein brouillon zu einer refutation | |||||||
| auf. Dieser wurde ausgearbeitet und dem Gouverneur zugeschickt und | |||||||
| wie ich annehme so nimt die Sache eine so gute Wendung, da | |||||||
| alles bey dem vorigen bleiben wird. In der That sehe ich auch nicht | |||||||
| ab wie der Rußische Hoff das Ansinnen der Stadt Riga hätte Souteniren | |||||||
| wollen, außer durch eine besondere Gewaltthätigkeit, daß sie garnisons | |||||||
| nach Liebau und Windau hätte verlegen müßen, die kein getreyde in | |||||||
| die Häfen gelaßen hätten. Wäre dieses nicht geschehen, so hätte sich | |||||||
| gewiß kein Edelmann an die vom Hertzog gegebene Befehle gekehret. | |||||||
| So liegt, liebster Freünd, die Sache der Ukase, die so viel Aufsehen | |||||||
| gemacht hat und die in der Ferne auf alle Getreyde und Victualien | |||||||
| extendiret worden, da sie doch nur das Sommerkorn zum Gegenstand | |||||||
| hatte. Ew: Hochedelgeb: werden wohl thun denenjenigen, die einen | |||||||
| Antheil an dieser Angelegenheit nehmen, den wahren Begriff von der | |||||||
| Sache mit zu theilen. | |||||||
| Was aber hauptsächlich zu dieser Ukase Anlaß gegeben haben | |||||||
| mag ist ein Umstand, den ich muthmaße, aber hier im Lande nicht | |||||||
| öffentlich bekannt machen will. Ein gewißer HE v Behr, ein naher | |||||||
| Verwandter von mir, der in der Windauischen Gegend große Güther | |||||||
| und besonders große Waldungen hat, ist auf die Speculation gekommen | |||||||
| selber Kauffmann zu seyn. Er hat sich eigene Schiffe gebauet und | |||||||
| immediate correspondenz in Engelland procuriret, wohin er einen | |||||||
| Menschen auf seine eigene Kosten geschicket hatte. Diese und auch | |||||||
| sogar Englische Schiffe, die an ihn adressirt waren liegen im Hafen | |||||||
| zu Windau ein. Die Windauische KauffMannschafft sahe solches mit | |||||||
| neidischen Augen an und suchten ihn solchen Handels zu erschwehren, | |||||||
| theils suchten sie ihm das bequeme Anlegen der Schiffe zu verhindern | |||||||
| theils suchten sie auch die im Hafen bestimmte Leüte zum Einladen | |||||||
| und ausladen abzuhalten und zu vertheüren. Um diese Inconveniences | |||||||
| zu vermeiden bat er sich vom Hertzog einen Orth am See Strande, | |||||||
| auf fürstl. Grund und Boden, aus, wo seine und die an ihm spedirten | |||||||
| Schiffe sicher einlauffen konten. Der Hertzog gestand ihm solches zu. | |||||||
| Nun glaube ich, daß die Windauische Kaufleüte sich hinter die Rigischen | |||||||
| gesteckt haben um den Vertrag d. ao 1615 aufzunehmen, wo der von | |||||||
| mir auf der 8 ten Seite angeführte passus stehet "daß außer denen | |||||||
| Häfen Liebau und Windau keine andere gestattet werden mögten. | |||||||
| Sollte das Ansinnen der Stadt Riga nun am Ende dieses zum Gegenstande | |||||||
| habe, so habe ich dem Hertzog gerathen, dem HEn v. Behr | |||||||
| die gegebene concession zurückzunehmen und wegen eines individui | |||||||
| nicht das gantze Land zu compromittiren. | |||||||
| Nun ist es Zeit, daß ich einmahl dem Geschmiere ein Ende mache. | |||||||
| Wann ich nicht Ihre Nachsicht kennte, so würde mein Brief kürtzer seyn. | |||||||
| Meine Frau versichert ihre aufrichtigste Freundschafft u. Ergebenheit. | |||||||
| Die Antwort an den HEn Prof. Mangelsdorff folget | |||||||
| hiebey. Ich bitte mir die Fortdauer dero mir so schätzbahren Freundschafft | |||||||
| aus bin mit der vorzüglichsten Hochachtung | |||||||
| Ew. Hochedelgeb. | |||||||
| ganz gehorsamster Diener | |||||||
| Großblieden d. 29 Dec 1782. | |||||||
| H. Graf v. Keyserling. | |||||||
| [ abgedruckt in : AA X, Seite 295 ] [ Brief 186 ] [ Brief 188 ] [ Gesamtverzeichnis des Briefwechsels ] |
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