Kant: Briefwechsel, Brief 101, Von Iohann Heinrich Kant mit Nachschrift seiner Frau. |
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| Von Iohann Heinrich Kant mit Nachschrift seiner Frau. | |||||||
| 13. Mai 1775 | |||||||
| Mein liebster Bruder! | |||||||
| Es wird ein Jahr wenigstens ein Iahr seyn, daß ich keine Zeile | |||||||
| an dich geschrieben, und keine von dir gesehen habe. Du wirst mich | |||||||
| sehr, und mit Recht getadelt haben. Ich bin an die Mietausche große | |||||||
| Schule als Conrector placiret worden, ohne dir davon Nachricht zu | |||||||
| geben. Nun dieses war Nachläßigkeit, zum Theil aber auch überhäufte | |||||||
| Geschaffte die mich immer daran behindert haben. Ietzt habe | |||||||
| ich die wichtigste Veränderung meines Lebens gemacht, ich bin verheyrathet. | |||||||
| Die Einkünfte meines Posten sind mäßig, sie reichen nur | |||||||
| eben zu, die Bedürfnisse des Lebens damit zu bestreiten, und dennoch | |||||||
| habe ich einen Schritt gewagt, den man sonst nicht thut ohne noch | |||||||
| etwas mehr als aisances zu haben, oder sie sich selbst durch die Heyrath | |||||||
| zu verschaffen. Meine Freundin hat viel äußere Reitze, und einen | |||||||
| liebenswürdigen Character, aber kein Vermögen, und doch habe ich sie | |||||||
| gewählt, bloß aus Liebe gewählt, und hoffe an ihrer Hand, durch alle | |||||||
| Klippen des Lebens, zufrieden und glücklich durchzukommen. | |||||||
| Du mein liebster Bruder must Heiterkeit und Gemüthsruhe, in | |||||||
| Zerstreuungen der Gesellschaft suchen, du must deinen kränklichen Körper, | |||||||
| den Miethlings=Sorgen frembder Leute anvertrauen. Ich finde die | |||||||
| ganze Welt in der zärtlichsten Freundin meines Herzens, die meine | |||||||
| Freuden, und meine Bekümmernisse mit mir theilet, und gewis wenn | |||||||
| ein herannahendes Alter, seine Lasten mitbringt, sie mit der liebreichsten | |||||||
| Pflege erleichtern wird. Ich bin glücklicher als Du mein | |||||||
| Bruder. Laß dich durch mein Beyspiel bekehren. Der Celibat hat | |||||||
| seine Annehmlichkeiten so lange man jung ist. Im Alter muß man verheyrathet | |||||||
| seyn, oder sich gefallen laßen, ein mürrisches trauriges Leben | |||||||
| zu führen. Theile meine grosse Veränderung meinem samtlichen Geschwister | |||||||
| mit, ich grüsse sie alle auf das zärtlichste. Von dir erwarte | |||||||
| ich so bald als möglich eine recht detaillirte Nachricht von deinem | |||||||
| ganzen Zustande. So nachläßig ich auch bisher im Schreiben gewesen, | |||||||
| so will ich mich doch von diesem Fehler beßern und nie aufhoren zu | |||||||
| seyn mit warmem Gefühl der Liebe | |||||||
| dein | |||||||
| Mietau | ergebener | ||||||
| d. 13. May | Bruder | ||||||
| 1775. | Kant. | ||||||
| Sie werden mich für eine verwägene Frau halten, daß ich es | |||||||
| wage an einen Mann zu schreiben, den ich noch nicht persöhnlich | |||||||
| kenne allein Sie sind der Bruder meines Mannes und also auch der | |||||||
| meinige, dieses ist meine Rechtfertigung. Geben Sie es mir doch | |||||||
| schriftlich zu erkennen, daß Sie mich mit dem Nahmen einer Schwester | |||||||
| Beehren wollen. Die zärtliche Liebe, die ich meinem Mann widme, | |||||||
| machet mir auch die feurigste Freundschafft gegen Sie zu einer angenehm | |||||||
| Pflicht. Ich werde nie aufhoren zu seyn | |||||||
| Ihre | |||||||
| ergebenste | |||||||
| Schwester | |||||||
| MariaKant | |||||||
| Gebohrne Hawemann | |||||||
| [ abgedruckt in : AA X, Seite 180 ] [ Brief 100 ] [ Brief 102 ] [ Gesamtverzeichnis des Briefwechsels ] |
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