Kant: AA XV, Reflexionen zur Anthropologie. , Seite 636

   
         
 

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  01 mit der Naturordnung einstimig werde. Es läßt sich schweer ausmachen,    
  02 ob die cultivirung und civilisirung mehr Übel bey sich führe als die rohe    
  03 Natur. sie macht unerhörte Laster so wie Studiren neue Irrthümer,    
  04 aber sie vergütet sie sowohl als Schmerz durch neue Tugenden.    
         
  05 Streit der Rohigkeit mit der Cultur, des Instincts mit der Vernunft,    
  06 der Thierheit mit der Menschheit.    
         
  07 Die (g Natur ) Bestimmung des Menschen ist die Entwikelung aller    
  08 Talente und die auf die hochste Kunst gegründete Glückseeligkeit und    
  09 Gutartigkeit. Dazu bedient sich die Natur des Schmerzens und der Übel,    
  10 die sie uns anthut, noch mehr: die wir uns selbst zuziehen. Dieser Bestimmung    
  11 der Menschengattung müssen wir folgen. Moralitaet ist eine    
  12 sache der Kunst, nicht der Natur. Rohe Zeitalter sind grausam, gewaltthätig.    
         
   

 

1455.   ξ—ψ.   L Bl. Ha 8.
 
   
  13 S. I:    
         
  16 Wir können uns das Gute nicht anders vorstellen, als in der Überwältigung    
  17 des Bösen; sogar die moralische Vollkommenheit nicht anders,    
  18 als in der Tugend, d. i. der Überwindung der Versuchungen zum Bösen.    
         
  19 So fern das Gute aus uns selbst kommen solte, so mußte die Triebfeder    
  20 dazu vorangehen. Die ist nun das Böse, es möchte nun im Mangel    
  21 oder in der positiven Gegen Beraubung liegen.    
         
  22 S. II:    
         
  23 Wir können in der Entwikelung der Menschlichen Natur auch hintennach    
  24 eine Weisheit bemerken, die nicht die Unsrige ist, die selbst durch    
  25 unsere Thorheit ihre Zweke befördert. Religionsaberglaube und der    
  26 dummste anthropomorphism hat Baukunst und Tempel hervorgebracht,    
  27 imgleichen sculptur, ja mahlerey da, wo noch schlechte wohnhäuser waren,    
     

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