Kant: AA XII, Briefwechsel 1796 , Seite 098 |
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| 01 | bey Ihnen fanden, sind der Zoll, den Ihnen mein Herz ohne Aufhören | ||||||
| 02 | bringet, so gerne bringet. | ||||||
| 03 | Professor Reuß, und ich waren für dieses Spätjahr schon so | ||||||
| 04 | ziemlich entschieden, wieder eine Reise nach Koenigsberg zu machen, | ||||||
| 05 | um Sie zu besuchen, und für längere Zeit, als vor vier Iahren, das | ||||||
| 06 | Glück Ihrer Gesellschaft und Ihres Umganges zu genießen. So wie | ||||||
| 07 | aber die Neufranken schon manchem Großen einen Strich durch die | ||||||
| 08 | Rechnung gemacht haben, so machten sie es uns Niedern auch, und | ||||||
| 09 | unser schöner Reiseplan ward vereitelt. Dieser Plan ist immer mein | ||||||
| 10 | Lieblingsplan, und wenn das Schicksal mit einstimmt, so reise ich im | ||||||
| 11 | nächsten Frühjahre nach Koenigsberg, um mich da ein paar Monate | ||||||
| 12 | aufhalten zu können. Daß meine ganze Rechnung da auf Ihren | ||||||
| 13 | lehrreichen Umgang gehe, gestehe ich Ihnen freymüthig, und was Ihre | ||||||
| 14 | Einwilligung betrift, in Ihrer Gesellschaft seyn zu dörfen, da nehme | ||||||
| 15 | ich meine ganze Zuflucht zu Ihrer Güte, die Sie mir in so hohem | ||||||
| 16 | Grade haben kennen lernen lassen. | ||||||
| 17 | Ich habe eine Zeitlang die Iuristerey getrieben. Allein bey dieser | ||||||
| 18 | Trockenheit von Studium, war es mir unmöglich lange auszuhalten. | ||||||
| 19 | Ich kehrte ganz in den Schoos der Philosophie zurücke, die belohnender | ||||||
| 20 | ist, und die ich nie verlassen hätte. Freilich eine seltene Erscheinung | ||||||
| 21 | in einem katholischen Lande, wo man gewohnt ist, daß die | ||||||
| 22 | Geistlichen nur mit dieser Nebenwissenschaft sich abgeben, und wo man | ||||||
| 23 | immer nicht so recht dran will, sie nach ihrem ganzen Werthe zu | ||||||
| 24 | schätzen. Dabey muß ich aber mit Gewalt ein Maurer seyn (eine | ||||||
| 25 | Synonime mit Iakobiner in unserm und andern katholischen Ländern) | ||||||
| 26 | und es macht sich wohl mancher ein Geschäft, mich zu warnen, zu | ||||||
| 27 | bedauern, oder gar als gefährlich zu beobachten. Uebrigens kann ich | ||||||
| 28 | über alle lachen, und bin so ganz ruhig bey meinem philosophischen | ||||||
| 29 | Studium, das mir Ihre Schriften so werth machen, da sie mir Wahrheit | ||||||
| 30 | geben, und ich, da ich sie leße, Sie immer vergegenwärtiget | ||||||
| 31 | glaube. Der praktische Theil der Philosophie ist mir der liebste. Und | ||||||
| 32 | sollte ers nicht seyn? Da Ihr Ton hier so rührend, so herzergreifend | ||||||
| 33 | ist. Da gerade dieser Theil das wichtigste unsres Lebens betrift. | ||||||
| 34 | Ihr Sistem hat hier ganz gewonnen, und es getraut sich keiner | ||||||
| 35 | mehr, dagegen zu sprechen. Daß man alle Kabalen dagegen versucht | ||||||
| 36 | habe, werden Sie wohl aus dem jüngsten Briefe des Professor Reu | ||||||
| 37 | ersehen haben. Im verflossenen Iahre machte ich eine Reise nach | ||||||
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