Kant: AA XI, Briefwechsel 1793 , Seite 452

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 bis dahin meine Ideen sich formen, und ich auf unerwartete Schwierigkeiten      
  02 stoßen; wollen Sie dann wohl erlauben, daß ich mir Ihren      
  03 gütigen Rath erbitte? Vielleicht lege ich, doch anonym, in verschiednen      
  04 Einkleidungen meine der Entwiklung entgegenstrebende Ideen dem      
  05 Publikum zur Beurtheilung vor. Ich gestehe, daß schon etwas dieser      
  06 Art von mir im Publikum ist, wovon ich aber vor der Hand nicht      
  07 wünschte, daß man es für meine Arbeit hielte, weil ich viele Ungerechtigkeiten      
  08 mit voller Freimüthigkeit, und Eifer gerügt habe, ohne      
  09 vor der Hand, weil ich noch nicht soweit bin, Mittel vorgeschlagen      
  10 zu haben, wie ihnen ohne Unordnung abzuhelfen sey. Ein enthusiastisches      
  11 Lob, aber noch keine gründliche Beurtheilung dieser Schrift ist      
  12 mir zu Gesichte gekommen. Wollen Sie mir dieses - soll ich sagen      
  13 Zutrauen, oder Zutraulichkeit? - erlauben, so schike ich es Ihnen zur      
  14 Beurtheilung zu, sobald ich die Fortsetzung aus der Preße erhalte.      
  15 Sie, verehrungswürdiger Mann, sind der Einzige, deßen Urtheile sowohl,      
  16 als deßen strenger Verschwiegenheit ich völlig traue. Ueber      
  17 politische Gegenstände sind leider! bei der jetzigen besondren Verwikelung      
  18 fast Alle partheiisch, selbst recht gute Denker; entweder furchtsame Anhänger      
  19 des Alten, oder hitzige Feinde deßelben, blos weil es alt ist.      
  20 - Wollen Sie mir diese gütige Erlaubniß ertheilen, ohne welche ich      
  21 es nicht wagen würde, so wird, denke ich, der Herr HofPrediger Schulz      
  22 Gelegenheit haben, Briefe an mich zu besorgen.      
           
  23 Nein - großer, für das Menschengeschlecht höchstwichtiger Mann,      
  24 Ihre Arbeiten werden nicht untergehen, sie werden reiche Früchte      
  25 tragen, sie werden in der Menschheit einen neuen Schwung, und eine      
  26 totale Wiedergeburt ihrer Grundsätze, Meinungen, Verfaßungen bewirken:      
  27 Es ist, glaube ich, nichts, worüber die Folgen derselben sich      
  28 nicht verbreiteten. Und diesen Ihren Entdeckungen gehen frohe Aussichten      
  29 auf. Ich habe Herrn H. Pr. Schulz darüber einige Bemerkungen      
  30 geschrieben, die ich auf meiner Reise gemachte und ihn gebeten, sie      
  31 Ihnen mitzutheilen.      
           
  32 Was muß es seyn, großer, und guter Mann, gegen das Ende      
  33 seiner irdischen Laufbahn solche Empfindungen haben zu können, als      
  34 Sie! Ich gestehe, daß der Gedanke an Sie immer mein Genius seyn      
  35 wird, der mich treibe, soviel in meinem Wirkungskreise liegt, auch      
  36 nicht ohne Nutzen für die Menschheit von ihrem Schauplatze abzutreten.      
  37      
           
           
     

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