Kant: AA XI, Briefwechsel 1792 , Seite 390 |
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| 01 | vollständigere Indukzion zu den durchgängig bestimmten nothwendigen | ||||||
| 02 | und allgemeingültigen Prinzipien, ohne sich Hofnung zu | ||||||
| 03 | machen sie auf diesem Wege, völlig zu erreichen. | ||||||
| 04 | Die Andere sucht diese Prinzipien in der ursprünglichen Einrichtung | ||||||
| 05 | unsres Erkenntnisvermögens, und stellet sie zum künftigen Gebrauch | ||||||
| 06 | auf; gleichfals ohne sich Hofnung zu machen, diesen Gebrauch | ||||||
| 07 | bis auf empyrischen Objekten (als solchen) auszudehnen. | ||||||
| 08 | Die kritische Philosophie ist, meiner Ueberzeugung nach (H. Reinhold | ||||||
| 09 | mag sagen was er will) durch Sie, so wohl als eine reine | ||||||
| 10 | Wissenschaft an sich, als eine angewendte Wissenschaft (wie | ||||||
| 11 | weit sich ihr Gebrauch erstrecket) schon vollendt. | ||||||
| 12 | Die Methode der Indukzion hingegen wird, bei all ihre Wichtigkeit | ||||||
| 13 | im praktischen Gebrauch nie als Wissenschaft vollendt werden. | ||||||
| 14 | In meinem zweiten Brief ausserte ich ein Misfallen an das Verfahren | ||||||
| 15 | des H. Pr. Reinhold. Dieser scharfsinnige Philosoph sucht | ||||||
| 16 | überall zu zeigen, daß Ihre Prinzipien nicht durchgängig bestimmt | ||||||
| 17 | und völlig entwickelt sind, und muß sich durch seine Bemühungen | ||||||
| 18 | diesem vermeinten Mangel abzuhelfen, im beständigen Zirkel | ||||||
| 19 | herumdrehen. | ||||||
| 20 | Sein Saz des Bewustseyns sezt schon Ihre Dedukzion voraus, | ||||||
| 21 | kann folglich nicht als ein ursprüngliches Faktum unseres Erkenntnisvermögens, | ||||||
| 22 | dieser Dedukzion zum Grunde gelegt werden; wie | ||||||
| 23 | ich dieses (Magazin zur Erfahrungsseelenkunde 9 Band. 3. Stück) gezeigt | ||||||
| 24 | habe. Auch jezt da ich den zweiten Theil seiner Briefe gelesen | ||||||
| 25 | habe, bemerke ich, daß sein Begrif von dem freien Willen auf das | ||||||
| 26 | allerunerklärbarste Indeterminismus führe. | ||||||
| 27 | Sie sezen die Freiheit des Willens in der hypothetisch angenommene | ||||||
| 28 | Kausalität der Vernunft. Nach ihm hingegen wäre die | ||||||
| 29 | Kausalität der Vernunft an sich Naturnothwendigkeit. Er | ||||||
| 30 | erklärt daher den freien Willen als "ein Vermögen der Person sich | ||||||
| 31 | selbst, in Rücksicht auf die Befriedigung oder Nichtbefriedigung des | ||||||
| 32 | eigennüzigen Triebs, der Forderung des Uneigennüzigen gemäß oder | ||||||
| 33 | derselben zuwider zu bestimmen." Ohne sich um den Bestimmungsgrund | ||||||
| 34 | im Mindstn zu bekümmern. Aber ich will Sie hiemit nicht | ||||||
| 35 | länger aufhalten. | ||||||
| 36 | Mein jeziger Wunsch gehet bloß dahin, eine Belehrung von | ||||||
| 37 | Ihnen zu erhalten, über den wichtigen Punkt ihrer transzendentalen | ||||||
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