Kant: AA XI, Briefwechsel 1791 , Seite 280 |
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Text (Kant):
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| 01 | untersucht zu haben, ob ich selbst vernünftiger Weise bei umgekehrtem | ||||||
| 02 | Verhältnisse eben das für jemand thun könnte; und habe | ||||||
| 03 | in gegenwärtigem Falle gefunden, dass ich, die physische Möglichkeit | ||||||
| 04 | vorausgesezt, es für Jeden thun würde, dem ich die Grundsätze | ||||||
| 05 | sicher zutrauen könnte, von denen ich wirklich durchdrungen bin. | ||||||
| 06 | Ich glaube so sicher an eine eigentliche Hingebung der Ehre | ||||||
| 07 | zum Pfande, dass ich durch die Nothwendigkeit etwas auf sie versichern | ||||||
| 08 | zu müssen, einen Theil derselben zu verlieren glaube; und | ||||||
| 09 | die tiefe Beschämung, die mich dabei betrift, ist Ursache, dass ich | ||||||
| 10 | einen Antrag von gegenwärtiger Art nie mündlich machen kann, da | ||||||
| 11 | ich niemand zum Zeugen derselben wünsche. Meine Ehre scheint | ||||||
| 12 | mir so lange, bis das bei derselben geschehene Versprechen erfüllt | ||||||
| 13 | ist, wirklich problematisch, weil es dem andern Theile immer möglich | ||||||
| 14 | ist, zu denken, ich werde es nicht erfüllen. Ich weiss also, dass, | ||||||
| 15 | wenn Euer Wohlgebohrn meinen Wunsch erfüllen sollten, ich zwar | ||||||
| 16 | immer mit inniger Verehrung und Dankbarkeit, aber doch mit einer | ||||||
| 17 | Art von Beschämung an Sie zurükdenken werde, und dass das völlig | ||||||
| 18 | freudige Andenken einer Bekanntschaft, die ich bestimmte, mir lebenslang | ||||||
| 19 | wohl zu machen, mir nur dann möglich sein wird, wenn ich | ||||||
| 20 | mein Wort werde gelös't haben. Diese Gefühle kommen aus dem | ||||||
| 21 | Temperamente, ich weiss es, und nicht aus Grundsätzen, und sie | ||||||
| 22 | sind vielleicht fehlerhaft; aber ich mag sie nicht ausrotten, bis die | ||||||
| 23 | völlige Festigkeit der leztern mir diese Ergänzung derselben ganz | ||||||
| 24 | entbehrlich macht. In so weit aber kann ich mich auch auf meine | ||||||
| 25 | Grundsätze verlassen, dass, wenn ich fähig sein sollte mir ein Ihnen | ||||||
| 26 | gegebenes Wort nicht zu halten, ich mich zeitlebens verachten, und | ||||||
| 27 | scheuen müste einen Blik in mein Inneres zu thun, Grundsätze, die | ||||||
| 28 | mich stets an Sie, und an meine Ehrlosigkeit erinnerten, aufgeben | ||||||
| 29 | müste, um mich der peinlichsten Vorwürfe zu entledigen. | ||||||
| 30 | Dürfte ich eine solche Denkungsart bei Jemanden vermuthen, | ||||||
| 31 | so würde ich das, wovon die Rede ist, sicher für ihn thun; wie | ||||||
| 32 | aber, und durch welche Mittel ich mich, wenn ich an Ihrer Stelle | ||||||
| 33 | wäre, von der Anwesenheit einer solchen Denkungsart bei mir überzeugen | ||||||
| 34 | könnte, ist mir nicht eben so klar. | ||||||
| 35 | Ich, Verehrungswürdiger Mann, schloss, wenn es mir erlaubt ist | ||||||
| 36 | sehr grosses mit sehr kleinem zu vergleichen, aus Ihren Schriften | ||||||
| 37 | mit völliger Zuversicht auf einen mustermässigen Character, und ich | ||||||
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