Kant: AA XI, Briefwechsel 1790 , Seite 150

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 sagen, daß ich seit ein paar Iahren Ihre Bücher lese, und gestimmt,      
  02 wie ich mich Ihnen oben geschildert habe, können Sie erachten, wie      
  03 sie auf mich würkten. Ich habe sie wahr gesunden vielleicht ein wenig      
  04 zu rasch für mich, weil ich vorbereitet war sie wahr zu finden, weil      
  05 sie mir so viel Erscheinungen in meinem spekulativen Leben erklärten,      
  06 weil so vieles darin aus dem Abyssus meiner Seele herausgeschrieben      
  07 war - kurz ich habe selige und Stunden der Verdamnis bei Ihren      
  08 Büchern gehabt, und mich wer weis wie oft an den Holzkopf geschlagen,      
  09 der nicht immer folgen wollte - aber bei weiten die meiste      
  10 Zeit strahlt' es mir in die Seele, wie heute die Morgensonne beim      
  11 Erwachen mir in die Augen strahlte      
           
  12 Ich mus aufhören, lieber, theuerer Mann, weil der glokkenschlag      
  13 mich in meine Klasse rufft - Gott segne sie, und erhalte sie noch      
  14 manche manche Iahre! Haben Sie mich ein wenig lieb, und, wenn      
  15 Sie einmahl nichts Klügers zu thun wissen, so schreiben Sie an      
  16 mich - Sie werden dadurch sehr erquikken      
           
  17   Ihren      
  18 Wolgast im Schwedischen Sie ewig ehrenden und liebenden      
  19 Pommern Ludwig Theobul Kosegarten.      
  20 am ersten April 1790.        
           
           
    417.      
  22 Von Iohann Andreas Christian Michelsen.      
           
  23 5. April 1790.      
           
  24 Wohlgeborner Herr      
  25 Insonders Hochzuehrender Herr Professor !      
  26 Unter den Schülern, welche Sich Ew. Wohgeboren durch die Critik      
  27 der reinen Vernunft erworben haben, gehöre ich zu den spätern und zu      
  28 denen von der mittlern Gattung; zu den spätern, weil ich bald nach      
  29 der Erscheinung jenes Werks, wegen großer Nervenschwäche einige      
  30 Iahre anstrengende Beschäftigungen meiden mußte, und zu den mitlern,      
  31 theils wegen des Maßes meiner Fähigkeiten, theils deswegen, weil ich      
  32 mir vorgenommen habe, das Studium der Philosophie nicht eher ganz      
  33 anzufangen, als bis ich mit der Mathematik im reinen seyn werde.      
  34 Gleichwohl ist meine Verpflichtung wegen des aus der Critik der reinen      
  35 Vernunft geschöpften Unterrichts so groß, daß ich meine Dankbarkeit      
           
     

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