Kant: AA XI, Briefwechsel 1789 , Seite 109

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Ich wohne in dem Hause meines Vaters, von dem ich auch meinen      
  02 nothdürftigen Unterhalt erhalte. Man hat mir fest versprochen, da      
  03 ich die erste Feldpredigerstelle, die in Berlin erledigt wird, erhalten      
  04 soll, und dann würde ich ganz zufrieden sein. Ich habe Vorlesungen      
  05 über die Logik und über Ihre Critik der practischen Vernunft angekündigt,      
  06 und es haben sich auch wirklich einige Zuhörer, vorzüglich      
  07 Geschäftsmänner gefunden, so daß ich den 1 st. December anzufangen      
  08 gedenke. Ich habe um die Erlaubniß Bücher aus der Königl. Bibliothek      
  09 gebrauchen zu dürfen, angehalten, und ich denke, daß man mir meine      
  10 Bitte nicht abschlagen wird. Künftige Ostern will ich mich als Candidat      
  11 des Predigtamts tentiren laßen und dis zwingt mich, auf die      
  12 Repetition meiner theologischen Studien auch Zeit zu verwenden.      
  13 Mit dem Prof. Michelsen habe ich es schon verabredet, daß ich mit      
  14 dem künftigen Iahre Privatunterricht bei ihm in der Mathematik      
  15 nehme und ich will den ganzen Cursum der Mathematik mit ihm      
  16 durchmachen.      
           
  17 Ich kann meinen Brief nicht schließen, ohne Ew: Wohlgeborn      
  18 den Aufschluß über eine Geschichte zu geben, die Sie gewiß interessirt,      
  19 über den untergeschobenen Taufschein des Prediger Iänisch. Ich habe      
  20 die Erzählung aus seinem Munde und relata refero . Er hatte zu      
  21 eben der Zeit, als man im Consistorio seinen Taufschein verlangte      
  22 eine Reise zu thun, und war daher in Verlegenheit, an wen er denselben      
  23 addressiren laßen sollte, als sich ein gewisser de la Veaux, den      
  24 er auf einer Reise kennen gelernt hatte, erbot den Taufschein an sich      
  25 zu nehmen, wenn er unter der Zeit, da Iänisch verreist wäre, ankommen      
  26 sollte. Iänisch nahm das Anerbieten an u. schrieb dem      
  27 Prediger in Heiligenbeil, er möchte den Taufschein nur an HE. de      
  28 la Veaux schicken. Dis geschah wirklich. Unglücklicherweise aber nahm      
  29 die Wäscherin dieses de la Veaux, den Brief der an Iänisch eingelegt      
  30 war, unversehends mit u. dieser, da er den Brief allenthalben vergeblich      
  31 suchte u. wußte, daß seinem Freunde daran gelegen sein mußte,      
  32 kam auf den Einfall einen Taufschein unterzuschieben, sagte aber      
  33 Iänisch nichts davon. Da er nicht wußte, was Iänisch Vater war,      
  34 so machte er ihn zum Bürgermeister u. richtete darnach auch den ganzen      
  35 Taufschein ein, den er mit seinem Petschaft auch untersiegelte. Der      
  36 Taufschein war in einem Couvert an Iänisch eingesiegelt, u. dieser      
  37 übergab ihn so, ohne das Couvert erbrochen zu haben, dem Consistorio.      
           
     

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