Kant: AA X, Briefwechsel 1783 , Seite 341

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Aufgabe, wie synthetische Erkentnisse a priori moglich seyn, schreiten,      
  02 denn meine Versuche diese Aufgabe zu lösen nach der Reihe zu untersuchen      
  03 etc. Denn ich getraue es mir zu, förmlich zu beweisen, da      
  04 kein einziger wahrhaftig=metaphysischer Satz aus dem Ganzen gerissen      
  05 könne dargethan werden, sondern immer nur aus dem Verhältnisse,      
  06 das er zu den Qvellen aller unserer reinen Vernunfterkentnis überhaupt      
  07 hat, mithin aus dem Begriffe des möglichen Ganzen solcher      
  08 Erkenntnisse müsse abgeleitet werden etc. Allein so gütig und bereitwillig      
  09 Sie auch in Ansehung dieses meines Gesuchs seyn möchten, so      
  10 bescheide mich doch gerne, daß, nach dem herrschenden Geschmacke dieses      
  11 Zeitalters, das Schweere in speculativen Dingen als leicht vorzustellen,      
  12 (nicht leicht zu machen) Ihre gefälligste Bemühung in diesem Puncte      
  13 doch fruchtlos seyn würde. Garve, Mendelssohn u. Tetens wären wohl      
  14 die einzige Männer die ich kenne, durch deren Mitwirkung diese Sache      
  15 in eben nicht langer Zeit zu einem Ziele könte gebracht werden, dahin      
  16 es Iarhunderte nicht haben bringen können; allein diese vortrefliche      
  17 Männer scheuen die Bearbeitung einer Sandwüste, die, bey aller auf      
  18 sie verwandten Mühe, doch immer so undankbar geblieben ist. Indessen      
  19 drehen sich die menschliche Bemühungen in einem bestandigen Zirkel      
  20 und kommen wieder auf einen Punct, wo sie schon einmal gewesen      
  21 seyn; alsdenn können Materialien, die jetzt im Staube liegen, vielleicht      
  22 zu einem herrlichen Baue verarbeitet werden.      
  23 Sie haben die Gütigkeit, über meine Darstellung der dialektischen      
  24 Wiedersprüche der reinen Vernunft ein vortheilhaftes Urtheil zu fällen,      
  25 ob Sie gleich durch die Auflösung derselben nicht befriedigt werden.*      
  26 Wenn mein Göttingsch: Recens: auch nur ein einziges Urtheil dieser      
           
           
    * Der Schlüssel dazu ist gleichwohl dahin gelegt, obschon sein anfänglicher Gebrauch ungewohnt und darum schweer ist. Er besteht darinn, daß man alle uns gegebene Gegenstände nach zweyerley Begriffen nehmen kan, einmal als Erscheinungen und dann als Dinge an sich selbst. Nimmt man Erscheinungen vor Dinge an sich selbst und verlangt, als von solchen, in der Reihe der Bedingungen das Schlechthin=unbedingte, so geräth man in lauter Wiedersprüche, die aber dadurch wegfallen, daß man zeigt das Gänzlich=unbedingte finde unter Erscheinungen nicht statt, sondern nur bey Dingen an sich selbst. Nimmt man dagegen umgekehrt das, was als Ding an sich selbst von irgend etwas in der Welt die Bedingung enthalten kan, vor Erscheinung, so macht man sich Wiedersprüche, wo keine nöthig wären, e. g. bey der Freyheit und dieser Wiederspruch fällt weg, so bald auf jene Unterschiedene Bedeutung der Gegenstände Rücksicht genommen wird.      
           
     

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