Kant: AA X, Briefwechsel 1783 , Seite 339

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 der Hauptfrage, auf die alles ankommt, (die ich deutlich gnug vorgestellt      
  02 habe) ausgeht, so nach und nach jedes Stück einzeln prüfen      
  03 und durch vereinigte Bemühungen bearbeiten will. Mit einem Worte      
  04 die Maschine ist einmal vollstandig da, und nun ist nur nöthig die      
  05 Glieder derselben zu glätten, oder Oel daran zu bringen, um die      
  06 Reibung aufzuheben, welche freylich sonst verursacht, daß sie still steht.      
  07 Auch hat diese Art von Wissenschaft dieses Eigenthümliche an sich,      
  08 daß die Darstellung des Ganzen erfoderlich ist jeden Theil zu rectificiren      
  09 und man also, um jenes zu Stande zu bringen, befugt ist diese eine      
  10 Zeitlang in einer gewissen Rohigkeit zu lassen. Hätte ich aber beydes      
  11 auf einmal leisten wollen, so würden entweder meine Fähigkeiten, oder      
  12 auch meine Lebenszeit dazu nicht zugereicht haben.      
           
  13 Sie belieben des Mangels der Popularität zu erwähnen, als      
  14 eines gerechten Vorwurfs, den man meiner Schrift machen kan denn      
  15 in der That muß jede philosophische Schrift derselben fahig seyn, sonst      
  16 verbirgt sie, unter einem Dunst von scheinbarem Scharf[s]inn, vermuthlich      
  17 Unsinn.* Allein von dieser Popularität läßt sich in Nachforschungen,      
  18 die so hoch hinauf langen, nicht der Anfang machen. Wenn ich es      
  19 nur dahin bringen kan, daß man im schulgerechten Begriffe, mitten      
  20 unter barbarischen Ausdrücken, mit mir eine Strecke fortgewandert      
  21 wäre, so wollte ich es schon selbst unternehmen (andere aber werden      
  22 hierinn schon glücklicher seyn) einen populären und doch gründlichen      
  23 Begriff, dazu ich den Plan schon bey mir führe, vom Ganzen zu entwerfen;      
  24 vor der Hand wollen wir Dunse ( doctores umbratici ) heissen,      
  25 wenn wir nur die Einsicht weiter bringen können, an deren Bearbeitung      
  26 freylich der geschmaksvollere Theil des Publici keinen Antheil nehmen      
  27 wird, ausser bis sie aus ihrer dunkelen Werkstatt wird heraus treten      
           
    * Damit die meinen Lesern verursachte Unannehmlichkeit, durch die Neuigkeit der Sprache und schweer zu durchdringende Dunkelheit, mir nicht allein Schuld gegeben werde, so möchte ich wohl folgenden Vorschlag thun. Die Deduction der reinen Verstandesbegriffe oder Categorien d. i. die Möglichkeit gänzlich a priori Begriffe von Dingen überhaupt zu haben wird man höchstnotwendig zu seyn urtheilen, weil ohne sie reine Erkentnis a priori gar keine Sicherheit hat. Nun wollte ich daß jemand sie auf leichtere und mehr populaire Art zu Stande zu bringen versuchte; alsdenn wird er die Schwierigkeit fühlen die größte unter allen die die Speculation in diesem Felde nur immer antreffen kan. Aus anderen Qvellen aber als, die ich angezeigt habe, wird er sie niemals ableiten, davon bin ich völlig versichert.      
           
     

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