Kant: AA X, Briefwechsel 1783 , Seite 306

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Magdeburg mit Ligniz verwechselt und an der hiesigen Ritter=Academie      
  02 Profeßor der Geschichte bin, wißen Sie vielleicht schon! Ich habe sehr      
  03 Ursach, meinem Beförderer und Landsmann dem Minister Zedliz in      
  04 Berlin dankbar zu seyn: Denn mein Posten giebt mir nicht nur satt      
  05 Brod, sondern auch hinlängliche Muße, mich nach und nach in meinem      
  06 Fache festzusetzen, um etwan einmal einer Universität meine Kräfte      
  07 zu widmen. Außerdem hab ich das Glück, an einem Sohne des großen      
  08 Iohann Gottlieb Heineccius, an dem Ihnen gewiß wohlbekannten Profeßor      
  09 Flögel, und an dem sanften Dichter und wahrhaft gelehrten      
  10 Belletristen Friedrich Schmitt drey Collegen und Freunde gefunden zu      
  11 haben, die ich für eins der kostbarsten Geschenke der Vorsehung erkennen      
  12 muß. Kurz ich würde ganz und gar von dem gemeinsamen      
  13 Schicksale der Sterblichen, von Schmerz und Trübsal nichts wißen,      
  14 wenn ich nicht vor wenig Wochen eine dahin einschlagende höchst bittre      
  15 Erfahrung gemacht hätte. Ich hatte mit meiner Frau, einer braven      
  16 Magdeburgerin, die mir, außer Iugend, Schönheit und Reichthum, die      
  17 sie mir nicht geben konnte, alle übrigen Eigenschaften zugebracht hat,      
  18 die einen Mann wesentlich glücklich machen können, einen einzigen      
  19 Sohn, Carl Eduard! Schon hatt er seinen vierten Geburtstag erreicht;      
  20 Gesundheit strozte auf seinen Wangen und ein sehr geschickter Arzt      
  21 Glossius sprach von seinem langen Leben als von einer unzweifelhaften      
  22 Sache; und alles Vater=Vorurtheil beiseit gesezt, welche Eltern      
  23 würden sich nicht glücklich geschäzt haben, solch einen Sohn zu haben,      
  24 der die liebenswürdigsten Anlagen des Herzens und des Kopfs verrieth      
  25 und überaus leicht zu entwickeln begann! Ach auf einmal, in Zeit      
  26 von 12 Tagen entriß uns der Tod diesen kleinen Engel; und was      
  27 noch mehr schmerzen muß, er ward das Opfer eines ungeschickten      
  28 Arztes, der in den ersten Tagen bloß palliative curirte, darüber die      
  29 Reinigung der ersten Wege versäumte, die sich späterhin nicht mehr      
  30 nachholen ließ, so daß zulezt der Schlag im Magen und bald darauf      
  31 im Gehirn erfolgte. Diese Erschütterung meines ganzen Wesens hat in      
  32 mir eine gänzliche Revolution gewirkt! Da liegen sie, die mancherley      
  33 gelehrten Entwürfe, die ich gemacht hatte, um dem Publico zu zeigen, da      
  34 es mir gegenwärtig mit der Geschichte ein Ernst sei. Das Grab      
  35 meines Kindes predigt mir bloß mein eignes Grab, und dürft ich doch      
  36 nie, außer meinen Stand= und Berufsgeschäften, irgend etwas anders      
  37 vornehmen, als das Studium recht zu sterben! Doch wozu erzähl ich      
           
     

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