Kant: AA IX, Immanuel Kant über ... , Seite 458

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Reiz der Nerven bringt viele Unordnungen hervor*). Sogar schon vor zu      
  02 warmen Speisen oder Getränken muß man die Kinder sorgfältig hüten,      
  03 denn auch diese verursachen Schwäche.      
           
  04 Ferner ist zu bemerken, daß Kinder nicht sehr warm gehalten werden      
  05 müssen, denn ihr Blut ist an sich schon viel wärmer, als das der Erwachsenen.      
  06 Die Wärme des Blutes bei Kindern beträgt nach dem Fahrenheitischen      
  07 Thermometer 110 Grad und das Blut der Erwachsenen nur 96      
  08 Grade. Das Kind erstickt in der Wärme, in der sich Ältere recht wohl      
  09 befinden. Die kühle Gewöhnung macht überhaupt den Menschen stark.      
  10 Und es ist auch bei Erwachsenen nicht gut, sich zu warm zu kleiden, zu      
  11 bedecken und sich an zu warme Getränke zu gewöhnen. Daher bekomme      
  12 denn das Kind auch ein kühles und hartes Lager. Auch kalte Bäder sind      
  13 gut**). Kein Reizmittel darf eintreten, um Hunger bei dem Kinde zu      
  14 erregen, dieser vielmehr muß immer nur die Folge der Thätigkeit und      
  15 Beschäftigung sein. Nichts indessen darf man das Kind sich angewöhnen      
  16 lassen, so daß es ihm zum Bedürfnisse werde. Auch bei dem Guten sogar      
  17 muß man ihm nicht alles durch die Kunst zur Angewohnheit machen.      
           
  18 Das Windeln findet bei rohen Völkern gar nicht Statt. Die wilden      
  19 Nationen in Amerika z. E. machen für ihre jungen Kinder Gruben in die      
  20 Erde, streuen sie mit dem Staube von faulen Bäumen aus, damit der      
  21 Urin und die Unreinigkeiten der Kinder sich darein ziehen, und die Kinder      
  22 also trocken liegen mögen, und bedecken sie mit Blättern; übrigens aber      
  23 lassen sie ihnen den freien Gebrauch ihrer Glieder. Es ist auch blos Bequemlichkeit      
  24 von uns, daß wir die Kinder wie Mumien einwickeln, damit      
  25 wir nur nicht Acht geben dürfen darauf, daß sich die Kinder nicht verbiegen,      
  26 und oft geschieht es dennoch eben durch das Windeln. Auch ist es den Kindern      
  27 selbst ängstlich, und sie gerathen dabei in eine Art von Verzweiflung,      
  28 da sie ihre Glieder gar nicht brauchen können. Da meint man denn ihr      
  29 Schreien durch bloßes Zurufen stillen zu können. Man wickle aber nur      
  30 einmal einen großen Menschen ein und sehe doch, ob er nicht auch schreien      
  31 und in Angst und Verzweiflung gerathen werde.      
           
           
    *) Hr. Schlözer hat bereits sehr gründlich dargethan, welcher schrecklichen Wirkung Rußland bei dem übermäßigen Gebrauche des Branntweines entgegenzusehen habe. A. d. H.      
           
    **) Daß das hier Gesagte von Bedingungen abhänge und cum grano salis verstanden und angewendet werden müsse, erhellt aus dem, was die sachkundigsten Ärzte neuerdings darüber gesagt haben. A. d. H.      
           
     

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