Kant: AA IX, Immanuel Kant's Logik Ein ... , Seite 044

     
           
 

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  01 der Erweiterung der Naturgeschichte, der Mathematik u. s. w. werden neue      
  02 Methoden erfunden werden, die das Alte verkürzen und die Menge der      
  03 Bücher entbehrlich machen. Auf Erfindung solcher neuen Methoden und      
  04 Principien wird es beruhen, daß wir, ohne das Gedächtniß zu belästigen,      
  05 alles mit Hülfe derselben nach Belieben selbst finden können. Daher macht      
  06 sich der um die Geschichte wie ein Genie verdient, welcher sie unter Ideen      
  07 faßt, die immer bleiben können.      
           
  08 Der logischen Vollkommenheit des Erkenntnisses in Ansehung seines      
  09 Umfanges steht die Unwissenheit entgegen. Eine negative Unvollkommenheit      
  10 oder Unvollkommenheit des Mangels, die wegen der Schranken      
  11 des Verstandes von unserm Erkenntnisse unzertrennlich bleibt.      
           
  12 Wir können die Unwissenheit aus einem objectiven und aus einem      
  13 subjectiven Gesichtspunkte betrachten.      
           
  14 1) Objectiv genommen, ist die Unwissenheit entweder eine materiale      
  15 oder eine formale. Die erstere besteht in einem Mangel an historischen,      
  16 die andere in einem Mangel an rationalen Erkenntnissen. Man muß      
  17 in keinem Fache ganz ignorant sein, aber wohl kann man das historische      
  18 Wissen einschränken, um sich desto mehr auf das rationale zu legen, oder      
  19 umgekehrt.      
           
  20 2) In subjectiver Bedeutung ist die Unwissenheit entweder eine      
  21 gelehrte, scientifische oder eine gemeine. Der die Schranken der Erkenntniß,      
  22 also das Feld der Unwissenheit, von wo es anhebt, deutlich einsieht,      
  23 der Philosoph z. B., der es einsieht und beweist, wie wenig man      
  24 aus Mangel an den dazu erforderlichen Datis in Ansehung der Structur      
  25 des Goldes wissen könne, ist kunstmäßig oder auf eine gelehrte Art unwissend.      
  26 Der hingegen unwissend ist, ohne die Gründe von den Grenzen      
  27 des Wissens einzusehen und sich darum zu bekümmern, ist es auf eine      
  28 gemeine, nicht wissenschaftliche Weise. Ein solcher weiß nicht einmal, da      
  29 er nichts wisse. Denn man kann sich seine Unwissenheit niemals anders      
  30 vorstellen als durch die Wissenschaft, so wie ein Blinder sich die Finsterni      
  31 nicht vorstellen kann, als bis er sehend geworden.      
           
  32 Die Kenntniß seiner Unwissenheit setzt also Wissenschaft voraus und      
  33 macht zugleich bescheiden, dagegen das eingebildete Wissen aufbläht. So      
  34 war Sokrates' Nichtwissen eine rühmliche Unwissenheit, eigentlich ein      
           
     

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