Kant: AA VIII, Verkündigung des nahen ... , Seite 418

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Weisheit aber ist die Zusammenstimmung des Willens zum Endzweck      
  02 (dem höchsten Gut); und da dieser, sofern er erreichbar ist, auch Pflicht      
  03 ist und umgekehrt, wenn er Pflicht ist, auch erreichbar sein muß, ein solches      
  04 Gesetz der Handlungen aber moralisch heißt: so wird Weisheit für den      
  05 Menschen nichts anders als das innere Princip des Willens der Befolgung      
  06 moralischer Gesetze sein, welcherlei Art auch der Gegenstand desselben      
  07 sein mag; der aber jederzeit übersinnlich sein wird: weil ein durch      
  08 einen empirischen Gegenstand bestimmter Wille wohl eine technisch      
  09 praktische Befolgung einer Regel, aber keine Pflicht (die ein nicht physisches      
  10 Verhältniß ist) begründen kann.      
           
  11
Von den übersinnlichen Gegenständen unserer Erkenntniß.
     
           
  12 Sie sind Gott, Freiheit und Unsterblichkeit. - 1) Gott, als      
  13 das allverpflichtende Wesen; 2) Freiheit, als Vermögen des Menschen      
  14 die Befolgung seiner Pflichten (gleich als göttlicher Gebote) gegen alle      
  15 Macht der Natur zu behaupten; 3) Unsterblichkeit, als ein Zustand, in      
  16 welchem dem Menschen sein Wohl und Weh in Verhältniß auf seinen moralischen      
  17 Werth zu Theil werden soll. - Man sieht, daß sie zusammen      
  18 gleichsam in der Verkettung der drei Sätze eines zurechnenden Vernunftschlusses      
  19 stehen; und da ihnen, eben darum weil sie Ideen des Übersinnlichen      
  20 sind, keine objective Realität in theoretischer Rücksicht gegeben      
  21 werden kann, so wird, wenn ihnen gleichwohl eine solche verschafft werden      
  22 soll, sie ihnen nur in praktischer Rücksicht, als Postulaten*) der moralisch      
  23 praktischen Vernunft, zugestanden werden können.      
           
  24 Unter diesen Ideen führt also die mittlere, nämlich die der Freiheit,      
  25 weil die Existenz derselben in dem kategorischen Imperativ enthalten      
  26 ist, der keinem Zweifel Raum läßt, die zwei übrigen in ihrem Gefolge      
  27 bei sich; indem er, das oberste Princip der Weisheit, folglich auch      
  28 den Endzweck des vollkommensten Willens (die höchste mit der Moralität      
  29 zusammenstimmende Glückseligkeit) voraussetzend, bloß die Bedingungen      
           
    *) Postulat ist ein a priori gegebener, keiner Erklärung seiner Möglichkeit (mithin auch keines Beweises) fähiger praktischer Imperativ. Man postulirt also nicht Sachen, oder überhaupt das Dasein irgend eines Gegenstandes, sondern nur eine Maxime (Regel) der Handlung eines Subjects. - Wenn es nun Pflicht ist zu einem gewissen Zweck (dem höchsten Gut) hinzuwirken, so muß ich auch berechtigt sein anzunehmen: daß die Bedingungen da sind, unter denen allein diese Leistung der Pflicht möglich ist, obzwar dieselben übersinnlich sind, und wir (in theoretischer Rücksicht) kein Erkenntniß derselben zu erlangen vermögend sind.      
           
     

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