Kant: AA VIII, Über eine Entdeckung, nach ... , Seite 211

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 weder bejahen, noch verneinen könne, weil sich die Einbildungskraft kein      
  02 Bild von demselben machen kann, oder weil wir nicht alle die Bestimmungen      
  03 kennen, die zu seiner Individualität gehören?" In der Folge, nämlich      
  04 S. 291 - 292, erklärt er sich über den Unterschied, den die Kritik zwischen      
  05 der Sinnlichkeit in logischer und in transscendentaler Bedeutung macht, so:      
  06 "Die Gegenstände des Verstandes sind unbildliche, der Sinnlichkeit hingegen      
  07 bildliche Gegenstände" und führt nun aus Leibnizen*) ein Beispiel      
  08 von der Ewigkeit, von der wir uns kein Bild, aber wohl eine Verstandesidee      
  09 machen können, zugleich aber auch das vom obgedachten Chiligone      
  10 an, von welchem er sagt: "Die Sinne und die Einbildungskraft des Menschen      
  11 können sich in seinem gegenwärtigen Zustande kein genaues      
  12 Bild, wodurch sie es von einem Neunhundert=Neun=Und=Neunzigeck unterscheiden,      
  13 machen."      
           
  14 Nun, einen kläreren Beweis, ich will nicht sagen, von willkürlicher      
  15 Mißdeutung der Kritik, denn um dadurch zu täuschen, ist sie bei weitem      
  16 nicht scheinbar genug, sondern einer gänzlichen Unkunde der Frage, worauf      
  17 es ankommt, kann man nicht verlangen, als den hier Herr Eberhard giebt.      
  18 Ein Fünfeck ist nach ihm noch ein Sinnenwesen, aber ein Tausendeck      
  19 schon ein bloßes Verstandeswesen, etwas Nicht=Sinnliches (oder wie er      
  20 sich ausdrückt, Unbildliches). Ich besorge, ein Neuneck werde schon über      
  21 dem halben Wege vom Sinnlichen zum Übersinnlichen hinausliegen; denn      
  22 wenn man die Seiten nicht mit Fingern nachuählt, kann man schwerlich      
  23 durch bloßes Übersehen die Zahl derselben bestimmen. Die Frage war:      
  24 ob wir von dem, welchem keine correspondirende Anschauung gegeben      
  25 werden kann, ein Erkenntniß zu bekommen hoffen können. Das wurde      
  26 von der Kritik in Ansehung dessen, was kein Gegenstand der Sinne sein      
  27 kann, verneint: weil wir zu der objectiven Realität des Begriffs immer      
  28 einer Anschauung bedürfen, die unsrige aber, selbst die in der Mathematik      
           
    *) Der Leser wird gut thun, nicht sofort alles, was Herr Eberhard aus Leibnizens Lehre folgert, auf dieses seine Rechnung zu schreiben. Leibniz wollte den Empirism des Locke widerlegen. Dieser Absicht waren dergleichen Beispiele, als die mathematischen sind, gar wohl angemessen, um zu beweisen, daß die letzteren Erkenntnisse viel weiter reichen, als empirisch=erworbene Begriffe leisten können, und dadurch den Ursprung der ersteren a priori gegen Lockes Angriffe zu vertheidigen. Daß die Gegenstände dadurch aufhören bloße Objecte der sinnlichen Anschauung zu sein und eine andere Art Wesen als zum Grunde liegend voraussetzen, konnte ihm gar nicht in die Gedanken kommen zu behaupten.      
           
     

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